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janine

Sollen wir von Ceduna aus den direkten Weg nach Pt Augusta über den Eyre Highway nehmen oder sollen wir gen Süden entlang der Küste fahren? Sind die 300 zusätzlichen Kilometer landschaftlich reizvoll und es wert geradelt zu werden? Wir sind unvorbereitet und haben keine Ahnung. Wir machen alles von einer Begebenheit abhängig: bevor wir in den Nullarbor aufbrachen, haben wir einen Warmshowers-Host in Port Lincoln, also entlang der Südroute, angeschrieben. Auch wenn wir uns über die Gegend nicht informiert haben, das Profil von Karen und Graham klang ansprechend. Wenn wir eine Antwort von den beiden haben, so sagen wir uns, schlagen wir die Südroute ein. Haben wir keine Antwort, so soll es für uns weiter entlang des mittlerweile ziemlich befahrenen Highways auf direktem Wege nach Port Augusta gehen. Wir checken also unsere Mails an dem gefundenen Internet-spot: Nachricht von Karen und Graham! Und es ist eine positive: Sie würden sich freuen, uns kennen zu lernen. Super! Also geht es nach Pt. Lincoln. Die Sache hat nur einen Haken: die potentiellen Gastgeber treten am 09.09. eine Reise an, unser Aufenthalt muss also vorher stattfinden. Um in die Küstenstadt zu gelangen, hatte ich grob sieben Tage geplant. Heute ist der 02.09. Mal rechnen: 03., 04., … 09.09. Genau vorbei. Hm, meint Till. „Sieben Tage für 400 Kilometer, das hast du aber sehr großzügig berechnet. Wenn wir weiter so zügig fahren wie zuletzt, können wir es auch in vier Tagen schaffen.“ Ich schaue skeptisch. Überlege. Warum nicht. „Challenge accepted!“. Noch immer vor dem Supermarkt sitzend packen wir also unser Geschirr zusammen, und mit Muffins im Bauch schwingen wir uns wieder in die Sättel. Wir sind optimistisch und motiviert, bis zum 06.09. Pt. Lincoln zu erreichen. Auch wenn wir uns nun nach Südost wenden, und der Wind beständig aus Süden bläst, lassen wir unsere Motivation nicht mildern. Nur unsere Hintern nehmen uns die Entscheidung schon auf den ersten Kilometern übel.

Kaum sind wir auf den Flinders Highway abgebogen, ist es unerwartet ruhig um uns herum. Erst hier wird uns richtig bewusst, wie laut es doch durch die Road trains auf den letzten Kilometern war. Doch entlang der Südseite ist kaum Verkehr und wir bereuen unsere Entscheidung nicht. Der Straßenrand hält trotz kontinuierlicher Bezaunung jede Menge Camping-Möglichkeiten bereit. Und als wir uns nach 98 km müde fühlen, lassen wir uns nur seitlich von den Rädern fallen und stehen mit unserem Zelt in mitten von violett blühenden Mittagsblumen, Delosperma sutherlandii. Nachdem der Tag mit Regen begann und sich grau über den Nachmittag hielt, ist doch nun die Sonne am blauen Himmel zu sehen und lässt uns unseren „Feierabend“ genießen. Tatsächlich fühlt sich das Besiegen des Nullarbors an diesem Tag wie das Bewältigen eines guten Stücks Arbeit an. Wir feiern den Erfolg mit einer Runde Körperwäsche (inklusive Haare!) aus unserem Wassersack. Auch wenn die Sonne noch am Himmelsrand steht, sinken die Temperaturen rapide in den Bereich von kalten Händen und Füßen. Die unzähligen Mücken spornen uns zusätzlich an, unsere Instant-Nudelsuppe zu leeren und im Zelt die hinter uns liegende Etappe Revue passieren zu lassen. Aber auch um uns halb wach, halb in Schlaf versunken auf die kommenden Tage zu freuen.

Grüne Felder, Wiesen mit grauer, steiniger Unterbrechung, ähnlich den schottischen Lowlands, erwarten uns auf der weiteren Fahrt. Das Meer liegt zu unserer Rechten und das Dunkelblau, das im Licht der Sonne unglaublich intensiv erscheint, blitzt immer wieder zwischen niedrigen Bäumen und Sanddünen hervor. Entlang des Weges erscheinen zunächst vereinzelt, dann immer zahlreicher Blumen. Die bunten Farbtöne der großen Blüten und die der Papageien verkünden uns: der Frühling kommt! Am Mittag fahren wir in die Streaky Bay ein und können in dem kleinen Städtchen unser Mittagstoast aufpeppen: preisreduzierte Tomaten geben dem Ganzen eine zum Wetter passende frische Note; das Bananenbrot, welches sich beim Zahlvorgang mit 7$ doch deutlich teurer herausstellte als die von mir gelesenen 1$, zelebrieren wir zum Nachtisch. Während wir uns das Mahl schmecken lassen und unser Zelt trocknet, blicken wir auf den blauen, so blauen Ozean und genießen dazu die Wärme der Sonne auf der Haut. Ja, wir tragen T-Shirts und zeigen Haut, es fühlt sich fast wie Urlaub an. Beinahe sitzen wir uns auf der Bank mit Meerblick fest, bis uns die Erinnerung an die Zeltplatzsuche endlich einholt und zum Aufbruch und Verlassen der Stadt drängt.

Die hügelige Fahrt durch Grasland, zu dem sich Raps- und Weizenfelder gesellen, führt uns am nächsten Morgen nach Port Kenny. Das Dorf ist winzig, drei Häuser, man würde es in Deutschland wohl kaum als Dorf bezeichnen. Da ist ja Gunzen riesig im Vergleich. Aber es besitzt einen Rastplatz, eine Tankstelle und ein Hotel. Wir rasten und fragen uns beim Blick auf die Angebotstafel des Hotels mit „Dinner“, „Ice“ und „Bait&Tackle“, was wohl dieses Bait&Tackle ist und wie es schmeckt (hier verlassen uns unsere Englischkenntnisse). Die Sonne ist uns hold, doch mit der Sonne sind auch die nervigen Fliegen wieder da. So setzen wir die Fahrt bald fort und passieren am späten Nachmittag Elliston, was eine einsame, saubere Toilette am Strand bietet. Perfekt. Weit wollen wir nicht mehr fahren, Zeit zum Wassertanken und Waschen! Der Wind aus Nordost nimmt am Abend zu und beschert uns eine stürmische Nacht. Er braust übers Land und rauscht in den Baumwipfeln. Doch zwischen den Büschen zwischen Straßenrand und Weidezaun steht unser Zelt sicher.

Der Wind der Nacht sorgt für eine Überraschung am Morgen: zum ersten Mal seit unseren vier Wochen Australien haben wir zu Tagesbeginn ein trockenes Zelt! Das bedeutet heute entfällt der Zelttrocknungsaktionsakt – ein Hochgefühl macht durchfährt uns. Doch der Wind hat auch Wolken gebracht, aus denen es immer wieder dezent regnet. Die Fliegen werden weniger, die Mücken sind noch da, aber wir tragen ja Jacken, die uns vor den Stichen schützen (alles andere hat keinen abhaltenden Effekt; durch Hose, Pullover&T-Shirt oder Mütze stechen die Biester gnadenlos). Mit andauerndem NO-Wind kommen wir nach 110 km an diesem Tag bis auf 50 km an Pt. Lincoln heran. Es ist der 05.09 – die geplante pünktliche Ankunft liegt vor uns.

Hinter den mit Raps bewachsenen Hügeln steigt langsam die Sonne empor. Zwar unterbrechen regengefüllte Wolken, die sich über uns entleeren, immer wieder unser Vorankommen, doch lassen wir uns davon nicht entmutigen: Woolworths' Zimtdonuts als Frühstücksspeise treiben uns an. So erreichen wir in den Morgenstunden den Supermarkt und begeben uns mit den begehrten Leckerbissen in der Hand zum naheliegenden Meeresufer. Wir lassen uns gerade nieder, als uns eine Dame anspricht. Für Karen, unser Host in dieser Stadt, waren wir wohl in unserem „Aufzug“ unverkennbar und so begrüßt sie uns herzlich. Die Zimtdonuts und die nette Begegnung geben uns Kraft, den steilen Anstieg mit den soeben gefüllten Taschen voller Lebensmitteln hinauf zu ihrem Haus zu bewältigen. Doch die zu erklimmenden Höhenmeter sind es für die beiden jeden Tag aufs Neue wert: von der Terrasse aus hat man einen wundervollen Blick aufs Meer. Ebenso wundervoll ist unser Aufenthalt bei Karen und Graham. Wäsche waschen, duschen, Zeit zum Relaxen – es fühlt sich nach den vergangenen zwei Wochen wie Urlaub an. Dazu werden wir mit Lasagne versorgt und sie zeigen uns die Stadt. Till wird in den Landessport Australian Football eingeführt und wird zum begeisterten Fan. Auch erfahren wir von ihnen, dass ‚Bait&Tackle‘ Anglerbedarf ist. (na zum Glück haben wir uns das nicht mal zum Mittag bestellt). Urlaub mit all inclusive! Nur diese Variante ist unbezahlbar.

Für meine frisch gewaschene Hose, die mich nun seit 16 Monaten treu begleitet, habe ich mir Aufnäher besorgt. Die sollen die aufgerissen Stellen bedecken und somit ihr Leben noch bis zum Ende der Reise verlängern. Da sich im Haushalt der Hosts ein Bügeleisen findet, nutze ich die Gelegenheit und lege los. ‚Aufnäher positionieren und das heiße Eisen 30 Sekunden darauf drücken.‘ So will es die Anleitung, der ich willig folge. Das Ergebnis: der Aufnäher ist drauf, der Riss fixiert, doch daneben ist ein neues Loch hineingebrannt. Oh nein! Doch ich verzage nicht: ich schneide ein neues Stück Aufnäher zurecht und versuche dieses nebenan mit nur 20 Sekunden Hitze zu fixieren. Der Aufnäher hält nicht. Nochmal kurz das Eisen drauf. Er hält noch immer nicht und es gibt ein weiteres Loch. Wah! Ich checke die Temperatur: ‚cotton‘ – wie angegeben. So langsam komme ich ins Schwitzen. Till hat eine Idee: „wir könnten das Areal um den Flicken herum mit deinen Baumwollsocken aus Indien abdecken.“ Gut, so mache ich es. Doch was ich auch versuche, das Ergebnis wird nicht besser. Am Ende bin ich von mir selbst, oder den Flicken, oder dem Eisen, ich weiß es nicht, enttäuscht, und habe zwei angegokelte Socken, eine Hose mit nur halbfest sitzenden Aufnähern und mehr Löchern als zuvor. Ein weiterer Op-shop-Besuch steht wohl aus. Doch an diesem Abend wandern Hose und Socke vorerst wieder in meine Tasche.

So sehr uns die Pause und die Zeit mit den beiden auch gefallen hat, es ist an der Zeit, weiter zu fahren. Doch meine Beine protestieren. Bereits in der Nacht merke ich, dass ich mich kaum drehen kann; das Aufstehen am Morgen ist schmerzhaft: ein heftiger Muskelkater plagt mich. Die ersten drei Kilometer sind eine Tortur, es bessert sich aber, als die Muskeln einmal warmgefahren sind. Wir gelangen so zum Mittagessen in die Tumby Bay, wo wir unsere Pause mit Blick aufs blaue Meer unter blauem Himmel genießen. Doch nach der Pause ist es mit den Beinen noch schlimmer als zuvor. Es bedarf mehrerer Aufsteigversuche mit Kneten, Setzen, Laufen und Ausschütteln dazwischen, bis sie endlich die Dienst antreten. Nun heißt es: kontinuierlich Treten. Bis zum Abend können wir keine Pause mehr einlegen. Pausen bekommen mir anscheinend nicht.

Diese Theorie unterstreicht der darauf folgende Morgen: nach 100 km des Vortrages kann ich problemlos Aufsteigen und habe keine Schmerzen mehr. Mein Motto ab jetzt: ‚one hundred K a day and my legs are ok‘ ? So geht es weiter über flache Hügel, erneut vorbei an grünen und gelben Feldern, Wiesen, Schafen. Langsam beginnen die immerwährenden Felder und Wiesen, für deren Anblick man nicht aus Deutschland um den halben Erdball fahren muss, etwas eintönig zu werden. Dazu Militärsperrgebiet, oberirdische Rohrleitungen, die Industriestadt Whyalla, schlechter Zeltboden. Wir überstehen bei kräftigen Seitenwind noch drei warme Tage mit wenig abwechslungsreicher Szenerie (Felder, Wiesen, Schafe) bevor wir unser nächstes Ziel erreichen. Dabei verfolgen uns die Fliegen, ohne mein Fliegennetz wäre ich wahnsinnig geworden. Unsere Hosts lehrten uns den 'Aussi salut': das Wedeln vor dem Gesicht, um die Fliegen zu vertreiben.

Nach drei Tagen liegt Port Augusta so nah, und doch so fern. Der Wind hat gedreht und bläst uns nun noch um Längen stärker als zuvor als Nordwind entgegen. Jeder Tritt kostet viel Kraft und ich bezweifle schon, dass wir die kurze Distanz bis in die Stadt an diesem Tag schaffen werden. Langsam bezwingen wir Kilometer für Kilometer. Der Gedanke an Joghurt und Obst zum Frühstück locken uns, bis wir die 26 Kilometer bewältigt haben und nach diesem Kraftakt im Windschatten auf den Woolworths-Parkplatz mit der Leckerspeise in Hand und Magen rasten.

Nach der Frühstückspause führen uns die folgenden 20 km nach Süden – es ist fantastisch: der Wind steht uns nun im Rücken, ich kann kaum so schnell treten, wie ich fahre, es fühlt sich an, als würden wir durch das flache Tal fliegen  Dann nimmt unser Flug ein Ende, als wir den Highway verlassenen und in eine Seitenstraße nach Osten einbiegen. Hinter 10 Kilometern baumloser Ebene steigen steil braune, karg bewachsene Berge empor. Sie erinnern uns an die im mittleren Osten. Der Aufstieg in diese Berge erscheint mir auf den nicht endend wollenden 10 Kilometern völlig unmöglich, da ich bei dem heftigen Seitenwind, der mich fast von der Straße zieht, schon in der Ebene nur im Berggang voran komme. Ich halte nur durch, um Till nicht zu enttäuschen, und Till hält nur durch, wie er mir später gesteht, weil ich durchhalte. Mit diesem verborgenen Ansporn gelangen wir zum Fuße der Berge. Der Weg hinauf schlängelt sich zu unserer Freude nicht wie erwartet ostwärts, sondern eher in südlicher Richtung empor. Und damit sind wir wieder im Rennen: der Wind bläst uns nahezu mühelos in die Flinders Range hinauf. So schnell sind wir noch nie zuvor um 500 Höhenmeter aufgestiegen! ?

Die Fahrt entlang des Horrocks Highways stimmt uns heiter, wie herrlich erscheinen mir die hügelige Gegend, die grünen Gipfel, malerische Dörfer und die Berge zu unserer Linken und Rechten, an denen sich das Auge festhalten kann. Als dunkelgraue Wolken am Himmel aufziehen, steuern wir einen Rastplatz an und bauen unser Zelt auf. Genau rechtzeitig: der Regen setzt ein, als wir gerade hinein schlüpfen. So verbringen wir an diesem Tag zwar bereits ab 16:00 Zeit im Zelt, sind aber froh über unser gutes Timing und die schöne, zuvor beradelte Berglandschaft.

Die erklommenen Höhenmeter bringen einige Veränderungen mit sich: nach der Wärme der letzten Tage ist es hier oben kälter: am Morgen haben wir wieder Frost auf den Rädern und Eis in unseren Wasserflaschen. Zudem sind die nervigen Fliegen verschwunden, dafür werden wir von Elstern belästigt, die ihre Nester verteidigen. Von Karen und Graham haben wir erfahren, warum wir hier manche Radfahrer mit Kabelbindern, ähnlich Antennen, auf den Helmen sehen: es dient der Elsterabwehr. Wir haben keine Kalbelbinder, doch trotz der Attacken ist der Morgen eindrucksvoll: Die Sonne geht über den Bergkuppen auf und taucht Berge und Täler in einen goldenen Schimmer. Die gelben Blüten der Büsche am Wegesrand leuchten regelrecht in Morgenlicht. Und wie prächtig wirken auf uns die blattlosen Reben in diesem Lichte, als wir nach drei Stunden Fahrt endlich den Riesling-Trail erreichen.

Der Fahrradweg führt durch die Weinberge des für seinen Riesling bekannten Clare-Valleys. Uns führt er allerdings zunächst nach Clare selbst, zu Will und Halima, die uns heute beherbergen. Will ist nicht nur Radfahrer, sondern auch Amateur-Funker, Halim ist Künstlerin, und beide sind sehr gute Gastgeber. Sie geben uns einen Einblick in ihre Passionen und machen uns mit Pasties (gefüllte Teigtasche) bekannt. Wir sind froh über die bewegende Bekanntschaft und die warme Nacht unter einer richtigen Bettdecke. Nach einem Frühstück mit Toast und gebratenen Eiern müssen wir uns bereits von den beiden verabschieden, den sonnigen Tag können wir nicht ungenutzt lassen.

Entlang des Riesling-Trails fahren wir durch das Tal mit seinen Weinbergen und lassen uns eine Weinprobe nicht entgehen. Über den Rattler-Trail gelangen wir in das Barossa Tal. Es ist wenig hügelig auf den Fahrradwegen, nur der Bergkamm, der die beiden Täler begrenzt, muss überwunden werden. Es ist so herrlich von Weinbergen umgeben zu sein und dazwischen Radfahren zu können. Am späten Nachmittag wollen wir in Greenock, dem ersten Dorf im Barossa Valley, noch einmal Wasser tanken. Auf der Suche nach der öffentlichen Toilette treffen wir auf John, der auf seinem selbst gebauten E-Bike unterwegs ist. Er wohnt um die Ecke und lädt uns nach ein paar Worten spontan ein, in seinem Garten zu campieren. Für den windgeschützten Platz hinter dem Haus, zwischen Zitronen- und Orangenbäumen, sind wir sehr dankbar. Eine warme Dusche, sechs Eier von seinen Hühnern und eine Flasche Rotwein, die wir gemeinsam während des Sonnenuntergangs im Garten trinken, krönen diesen einzigartigen Tag. Beim Blick an den klaren Himmel können wir uns kaum vorstellen, dass es den gesamten folgenden Tag regnen soll.

Starker Wind und wolkenbehangener Himmel bestätigen allerdings am Morgen die Wettervorhersage. Während uns John noch mit einem Kaffee und frisch gepresstem Orangensaft versorgt, trocknet unser Zelt unterm Vordach, geschützt vor dem Regenschauer, der gerade nieder geht. Bei 9°C Höchsttemperatur und Schauern machen wir während der Fahrt von Nurioopta über Angiston nach Tanunda immer wieder Halt an den Weinkellern der Gegend, versuchen den hier bekannten Shiraz und entkommen so Kälte und Regen. Trotz Schlechtwetter ein toller (und optimal genutzter) Tag. ?

Am darauffolgenden Tag ist es zwar kalt, doch die Wolken haben ihren Inhalt abgeregnet und der Wind hat nachgelassen. Auf unserer Fahrt nach Adelaide machen wir einen Abstecher zur Whispering Wall nahe Williamstown. Die Mauer des Stausees hat eine fantastische Akustik: was man am einen Ende leise spricht, kann ein zweiter auf der gegenüberliegenden Seite, mehr als 100 Meter entfernt, ungeschwächt hören. Es ist noch früher Morgen, wir sind ganz allein an der Mauer und flüstern uns dummes Zeug von Ende zu Ende zu.

Über die B10 gelangen wir nach Adelaide, reger Verkehr rauscht auf der engen Straße an uns vorbei, als wir uns zunächst langsam bergauf und dann schnell bergab bewegen. Auch wenn es mit dem Verkehr in Südasien nicht mithalten kann, sind wir doch dankbar, als wir den Fahrradweg durch den Linear Park entdecken, der sich vom Stadtrand bis ins Zentrum zieht. Zunächst kommen wir um einen Stopp bei Aldi nicht herum, bevor wir uns zu den Hosts Ian und Rosalie aufmachen. Gleich haben wir eine intensive Beziehung und Vertrautheit zu ihnen. Wir fragen die erfahrenen Reiseradler nach ihrem Radellieblingsland: für sie ist es Deutschland. In ihrer Gesellschaft verleben wir einen entspannten Abend, bereiten gemeinsam chinesische Dumplings zu und trinken Barossa-Wein.

Der Wetterprognose wegen, brechen wir bereits am nächsten Morgen wieder auf. Für Adelaide ist Regen gemeldet, weiter südöstlich ist die Prognose besser. Wir verabschieden uns daher von den lieben Gastgebern und steigen auf in die Adelaide Hills. Nachdem wir den höchsten Punkt überwunden haben, geht es kräftig auf und ab, bevor es für uns die 500 Höhenmeter wieder hinunter geht. In dem malerischen Städtchen Strathalbyn, das wir am Nachmittag passieren, liegen die Berge hinter uns und das flache Land am Lake Alexandrina ist fast erreicht. Am Tagesende landen wir unerwartet in einer weiteren, kleinen Weinregion. Wir kommen nicht umhin, eine kurze Rast für eine Weinverkostung einzulegen. Wenige Minuten nachdem wir das Gelände verlassen haben, finden wir eine free Campsite, auf der wir uns bei untergehender Sonne zusammen mit ein paar Krackern von Aldi dem frisch erworbenen, noch kühlen Verdelho widmen. Unsere Flucht vor dem Regen aus Adelaide scheint funktioniert zu haben ?

Die Weinstöcke im Langhorne Creek haben bereits neue, kleine Blättchen, die hellgrün im Morgenlicht leuchten. Der Wind bläst uns zunächst bis Wellington, danach macht er uns, aus Westen wehenden während wir nach Süden fahren, das Pedalieren und das Frühstücken schwer. Nach einem kläglichen Versuch schwenken wir von Müsli auf Müsliriegel über – das ist windkompatibler. Auf die Weinberge folgen wieder Felder, Wiesen und Schafe; nur zwei 'pink lakes' bringen Abwechslung in die bereits kannte Szenerie. Algen in den Seen sondern einen Farbstoff ab, um sich vor Sonnenlicht zu schützen. Diese lässt die Seen rot erscheinen. Da wenig Sonne scheint, sind sie zu dieser Jahreszeit nur leicht rosa gefärbt. Unser Weg führt uns weiter durch den Coroong Nationalpark entlang der Küste, vor der sich eine schmale Insel, einer großen Düne gleich, kilometerlang herzieht. In mitten der Büsche des Parks finden wir ein geschütztes Plätzchen für unser Zelt. Gerade als es steht, beginnt es zu regnen. Wieder sind wir froh über unser gutes Timing. Im Kochen-im-Vorzelt sind wir mittlerweile geübt, doch an diesem Tag steigern die unzähligen Mücken noch den Schwierigkeitsgrad dieser Disziplin, so dass wir unser Können auf Kochen-IM-Zelt zwischen den Isomatten erweitern.

Entlang des grün und braun wirkenden Meeres fahren wir drei Tage lang in südlicher Richtung. Die Tage sind durchwachsen, Kaninchen und schwarze, glänzende Tausendfüßler sehen wir am Boden, Pelikane und Elstern in den Lüften. Das Farmland, Wiesen und Felder mit Kühen und Schafen, das auf den Nationalpark folgt, wird von der Straße durch Büsche mit gelben Blüten und gelben Blumen auf der Grasnarbe abgegrenzt. Zwar ist es kalt und wolkig, doch der Duft der Blüten wirkt dazwischen wie eine Aufmunterung. Beim Campen zwischen Straße und Zäunen geben wir darauf Acht, den duftenden Freuden nicht zu schaden.

Unser Sitzfleisch meldet allmählich wieder Pausenbedarf an und so sind wir doch froh, Sandy und Kerstin in Mount Gambier zu erreichen. Als wir ihnen davon berichten, dass wir über einen Abstecher in die Coonawarra Weinregion nachdenken (ein Tipp von Graham aus Pt. Lincoln), beschließt Kerstin kurzerhand, einen Ausflug mit uns dorthin zu unternehmen. Was mit dem Rad einen straffen Tagestrip (120 km) bedeutet, ist mit dem Auto nur eine Stunde Fahrt entfernt. Wir haben so das Glück, eine weitere Weingegend kennen lernen zu dürfen und dazu nicht nur einen Chauffeur, sondern auch einen Kenner der Gegend und der Weinkeller in Kerstin zu haben. Nach einem Halt an dem alten, zauberhaften Bahnhof verkosten wir die Cabernet Sauvignons der Region und finden darunter einen Wein mit dem Namen „Wanderlust“ der nicht nur thematisch ziemlich gut zu uns passt, sondern auch unseren Geschmack voll trifft.

Mit einer gewissen Röte im Gesicht (war es für heute so warm angesagt?) und einer Flasche davon unterm Arm lassen wir die an uns vorüber ziehenden Reben und damit die Weinregionen Australiens hinter uns. Als wir nach einem wundervollen Tag in die bequemen Kissen bei unseren Hosts sinken, frage ich mich, ob mein Muskeln mir wohl auch diesmal den Pausentag, dem ersten seit dem Aufbruch aus Pt. Lincoln, übel nehmen werden. Mit oder ohne Muskelkater, sage ich mir: Great Ocean Road, wir kommen!

Kommentare

Submitted by Andrea (nicht überprüft) on Di, 02.10.2018 - 22:57

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Ihr Lieben, zum Tag der dt. Einheit grüße ich euch recht herzlich. Grund zum Danken und Feiern, denn ohne die Einheit wäre eure außergewöhnliche Hochzeitsreise wohl nicht möglich gewesen. Es ist wirklich toll, wieviel ihr sehen und erleben dürft, bzw. es euch hart erarbeitet. Danke für alles Berichten und die Fotos, toll, der rosafarbene See, die Weinberge oder einfach der Ausblick aus eurem Zelt....
Wie werdet ihr wohl den Feiertag verbringen?
Herzlich grüßt euch Andrea

Hallo meine liebe Tante,

Ohne die Einheit hätte es nicht nur diese Reise, sondern auch uns als ein Ost-West-mix-couple nicht geben können. So sind wir heute dankbar für sie Wiedervereinigung und genießen unsere letzten Wochen.

Viele Grüße aus Melbourne nach Berlin!

Submitted by Dominic & Silvio (nicht überprüft) on Sa, 06.10.2018 - 12:57

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Hey ihr Zwei, bei uns ist es mittlerweile schon wieder ein halbes Jahr her (man wie die Zeit vergeht), als wir durch Claire Valley und den Flinders streiften. Fanden es auch richtig schön, bis auf das Summen der nervigen Plagegeister. Wir hoffen für euch, dass die Lage sich entspannt und ihr einen grandiosen Frühling erlebt. Viel Spaß euch noch in den verbleibenden Wochen und bis ganz bald in Leipzig bei Stulle, Worscht und ner kalten Plärre.

Grüße von uns beiden

Submitted by Martina (nicht überprüft) on Di, 09.10.2018 - 20:54

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Uiuiui, ich habe ja schon lang keinen Kommentar mehr hinterlassen - aber ich habe eure Reise mitverfolgt, dank dem WLAN in der Bahn wart ihr mir in letzter Zeit oft eine angenehme Reisebegleitung :-) Der zweite Australienbericht klingt doch schon viel angenehmer als der erste - da hattet ihr euch aber auch eine extreme Herausforderung gesucht, Respekt!!!
An euren Fähnchen habe ich gesehen, dass ihr nach Tasmanien übergesetzt habt - mein persönliches Lieblingsfleckchen in Australien. Und der Reiseführer hatte total geschwärmt vom Radfahren auf der Insel - habe ich aber leider nicht selbst ausprobiert. Ich drück euch die Daumen, dass ihr dort nicht friert, in den Bergen war es selbst im Sommer nachts ziemlich kalt...ich freu mich auch schon sehr auf euren Bericht von der Great Ocean Road...wahrscheinlich habt ihr euch den ein oder anderen schönen Anblick mit einer guten Flasche Wein veredelt ;-)
Und dir, Janine, scheint es wieder besser zu gehen, oder? Das klang ja gar nicht gut in eurem letzten Eintrag! Ich drück die Daumen, dass das Knie und die Sehne bis zum Ende eurer Tour gut durchhalten - und natürlich auch darüber hinaus :-)

GLG

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