Am Ende ging alles ganz schnell. Unsere letzte Etappe führt uns entlang der Küste und durch grünes Weideland. Unter wolkenbehangenem Himmel treffen wir auf diesen Kilometern auf eine Radlerin aus Malaysia, die allein unterwegs ist. Kopftuch und Turnschuhe sind aufeinander abgestimmt, sie macht einen sehr ausgeglichenen Eindruck und ist bei der doch etwas beklommenen Stimmung in mir der Inbegriff der Hoffnung und die menschgewordene Darstellung davon, dass nichts unmöglich ist. Ihr gilt in diesem Moment mein voller Respekt. Trotz nur weniger gewechselter Worte bin ich dankbar für diese Begegnung.
Dann nähern wir uns Auckland. Die Stadtfahrt ist erwartungsgemäß anstrengend, aber dank unserer Unterkunft im Süden der Stadt glücklicherweise nur von kurzer Dauer. Fahrradkartons für den Flug sind hier schnell organisiert und der Weg zu unserer letzten Bleibe leicht zu finden. Unsere Reise geht nicht zu Ende, ohne eine neue einprägsame Bekanntschaft. Zoe und Ray nehmen uns schon einen Tag früher als geplant auf und ersparen uns damit bei sehr schlechter Wetterprognose ein weiteres 'Taucherlebnis' mit unserem Zelt. Stattdessen können wir im Trockenen die letzten Vorbereitungen zum Abflug treffen, die zum großen Teil aus „Ausmisten“ bestehen. Wir haben für den Flug ein enges Gewichtsfenster und es gilt das Motto: was nicht furchtbar teuer ist, muss da bleiben. So sammeln sich unsere Habseligkeiten auf einem Haufen für die Kleiderspende, dem Mülleimer und einer Box mit Dingen, die vielleicht zukünftigen Radlergästen unserer Gastgeber hilfreich sein können. Die Zeit vergeht bei Genuss von Rays Risotto, bei der Einführung von Flammkuchen in Aucklands Küche und dem Kuscheln mit den Katzen des Hauses.
Dann ist der Tag gekommen: die letzte Fahrt auf unseren Rädern zum Flughafen. Vom Vorweihnachtschaos auf den Straßen und in den Geschäften bleiben wir als Radfahrer weitestgehend unbetroffen und im Handumdrehen liegen auch die finalen 20 Kilometer hinter uns. Ein bisschen widerstrebt es mir, in die Flughafenabfahrt einzubiegen. Doch am Himmel kommen bedrohlich schwarze Wolken auf uns zugezogen, die die verschnürten Pappkartons auf dem Gepäckträger im Nu dahinschmelzen lassen würden. So nehmen wir also wie geplant die Abfahrt und beginnen vor dem Flughafengebäude die Räder zu demontieren. Mittlerweile sind wir Profis im Schrauben und Verboxen, es geht ruckzuck. Ich werfe einen letzten Blick auf das Land und das Flughafengelände, welches einem den Abschied nicht gerade schwer macht. Trotzdem, ein komisches Gefühl bleibt.
Der Flieger startet und bringt uns zurück auf die Nordhalbkugel und auf den Eurasischen Kontinent; wir landen in Singapur, der saubersten Stadt der Welt. „Von hier aus könnten wir heim radeln“ witzeln wir. Oder doch kein Witz? Die Verlockung ist groß, doch zum Glück (oder Pech, das kann man nun sehen wie man will) wird unser Gepäck direkt in den nächsten Flieger umgeladen und wir bekommen die Räder hier nicht in die Hände. Wir beschließen daher, uns die Zeit mit einer Stadtbesichtigung zu vertreiben. Die Airline bietet sogar eine kostenlose geführte Tour an, für die wir uns einschreiben. Ein Visum ist für uns nicht nötig, somit daher ist das Verlassen des Flughafens unproblematisch.
Die Bustour ist ganz nett, wenn auch nicht ganz nach meinem Reisegeschmack. Und viel zu schnell neigt sie sich dem Ende, wo doch das indische Viertel für meinen Geschmack noch zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Ich schlage Till daher vor, uns beim zweiten und letzten Halt des Busses von der Gruppe abzuseilen und auf eigene Faust die Umgebung zu durchstreifen. Es kostet mich zwar ein bisschen Mühe, Till von den Vorzügen dieser Idee gegenüber den Ängsten über eine nicht-termingerechte Rückkehr zum Flieger zu überzeugen, doch an Ende willigt er ein. So wirkt die Stadt auf uns, wie eine doch ganz normale Großstadt, mit ihren schmuddelige Ecken zwischen in Hochglanz strahlenden futuristischen Gebäuden, mit den kleinen verzierten Häuschen im Kolonialstil zwischen den Wolkenkratzern, mit den Einflüssen der Chinesen und Inder auf das ehemalige Fischerdorf, das heute Weltstadt ist.
Mit diesen letzten asiatischen Impressionen im Gepäck treten wir dann den Heimflug an. Unser Flieger verlässt ohne Zwischenfälle (durch den ‚nebenan‘ ausbrechenden Vulkan zum Beispiel) die Startbahn; auch vom Weihnachtschaos, Tausende verpassten ihre Flieger am Frankfurter Flughafen, bekommen wir nichts mit. Wie geplant landen wir am Weihnachtsmorgen im „Heimathafen“ Leipzig. Nun geht es auf zu unseren Familien, die von unserer Rückkehr noch nichts wissen. Auf, zur Weihnachtsüberraschung, auf… auf der „falschen“ Straßenseite, in motorisiertem Gefährt, auf winterlich verschneiter Fahrbahn. Die Herausforderung der vor uns liegenden Autofahrt wirkt auf mich unbedeutend im Vergleich zu der, der folgenden Tage und Monate. Vor uns liegt nun unser nächstes großes Abenteuer: zurück ins alte Leben.