Der letzte Arbeitstag vor dem ersehnten Urlaub liegt hinter uns, der Freitag neigt sich seinem Ende zu, die Gedanken sind schon nur noch bei der bevorstehenden Abfahrt am nächsten Morgen. Till hat die Räder vorbereitet und so müssen nur noch die letzten Taschen gepackt werden. Am Vormittag sind diese dann an die Racks geschnallt und es kann los gehen -Polen, Tschechien und die Slowakei liegen vor uns. Aufsitzen, in die Pedale treten… und an der ersten Kreuzung feststellen, dass meine Schaltung nicht geht. Till schimpft vor sich hin und fädelt die Schaltseile neu auf, in der Zeit bringe ich die letzten verderblichen Lebensmittel, die wir nicht aufbrauchen konnten, zum Fair-Teiler (https://foodsharing.de/?page=fairteiler&bid=23).
Dann endlich lassen wir die Stadt hinter uns. So oft schon haben wir sie gen Osten verlassen, doch noch nie auf diesem Weg. Heute nehmen wir eine ganz neue Route über wenig befahrene Straßen. Es ist warm, unbedrohliche Wolken hängen am Himmel und der Wind bläst größtenteils aus der richtigen Richtung. Es fühlt sich herrlich befreiend an, wieder im Sattel zu sitzen, während uns die Sommerluft um die Nase weht. Es ist so auffallend leise, so ruhig, dass ich es kaum glauben kann. Kein Telefonklingeln, kein Kühlschrankbrummen, kein Piepender Alarm. Es ist fast, als fuhren wir dem lärmenden Alltag auf unseren Eseln in diesem Moment davon. Nur mit dem Nötigsten im Gepäck, als ließen wir nicht nur Lärm sondern auch allen Ballast der Routine hinter uns liegen.
Die leichte, heitere Stimmung kann auch der Nieselregen am nächsten Morgen nicht trüben. Beim Marmara-Bistro bekommen wir nicht nur einen trockenen Unterschlupf, sondern eine Stunde vor Öffnung auch schon einen Kaffee. Und als der aufgetrunken ist, lässt der Regen nach, es klart auf und unser Zelt kann auf einem Spielplatz trocknen. (Nein, wir haben keine Kinder verscheucht, sondern ein einsames Klettergerüst dafür zweckentfremdet) Die Straßen durch die Dörfer Sachsens und Brandenburgs sind mit AFD-Plakaten überflutet, manche mit Rechtschreibfehlern – jawohl, da zeigt die Partei, was sie drauf hat. Da freut man sich doch direkt über die vereinzelt auftauchenden SPD-Plakate und klammert sich an den dünnen Faden, dass auch Parteien mit Verstand (naja was soll man machen) den Osten doch noch nicht gänzlich aufgegeben haben.
Die Etappe führt durch Kiefernwälder und Heideland, vorbei an einer Ziegenfarm mit Käseverkauf (natürlich einen Stopp und eine Beprobung wert!) bis wir der Neiße und der Oder im Grenzland auf Hochwasserschutzdeichen durch grüne Auen flussaufwärts folgen. Äpfel-, Birnen-, und Zwetschgenbäume säumen den Wegesrand und laden ebenfalls zu einer Verkostung ein. Die spätsommerlichen Früchte versüßen uns von nun an täglich die Reise. Das warme Wetter drängt uns geradezu zu einer Abkühlung im Fluss und bei lauer Abendluft gibt es wohl kaum etwas Schöneres als ein Abendessen vor dem Zelt zu genießen und zuzusehen, wie sich die Sonne hinter den Bäumen langsam verabschiedet.
Mit einem Abt-Bier vor dem Kloster Neuenzell verabschieden auch wir uns vom Heimatland und überqueren bei Küsterin-Kietz, einem Ort, der nach der Grenzfestlegung 1945 nun auf deutscher und polnischer Seite liegt, den Grenzfluss. Nur ein Hinweisschild vermittelt uns, dass wir nun in Polen sind. Der Radweg verschwindet und mit dem Verkehr auf der Straße müssen wir uns erst einmal anfreunden. Nicht lange, dann geht es auf ruhigen Nebenstraßen auf und ab durch das Tiefland der Woiwodschaft Lebus und das Urstromtal der Warthe. Gegen Mittag passieren wir einen herrlich im Wald gelegenen See, der sich für eine Rast geradezu anbietet. Doch die Hinweisschilder „Militärisches Sperrgebiet. Zutritt verboten. Nicht baden“ hindern Till daran, den Abzweig zum See einzuschlagen. Ich bin hin und her gerissen. Ein weiterer Radfahrer kommt des Weges und biegt zum See hin ab. „Der sieht nicht wie einer vom Militär aus.“ Versuche ich ihn zu überzeugen. Zwei weitere Radler kommen die Straße herab gerollt und biegen ebenfalls zum See hin ab. „Und die sind ganz bestimmt keine Soldaten.“ Gut, wir tun es ihnen gleich und lassen uns am See nieder. Auch das Dixi, das Till gleich aufsucht, spricht für meine Interpretation der Schilder und mit dem nächsten Kfz, aus dem eine Familie mit Kleinkind und Schwimmreifen steigt, ist es für mich klar, dass die Schilder ganz fälschlich hier aufgestellt sein müssen. Als Till vom Dixi zurück kehrt, denkt er: jetzt widersetzt sich auch noch jemand dem Badeverbot. Ach, ich weiß auch wer.
Es geht weiter durch Wälder, aus denen es manchmal grunzt (in dem Moment bin ich froh gerade nicht hier auf der Suche nach einem Platz für die Nacht zu sein), und über Felder. Viele, viele Felder. Felder in Deutschland riechen nach Kuhstall, Felder in Polen riechen nach.. Taubenschlag. Wir folgen so manchen Schotterwegen und Matschpfaden. Nur langsam kommen wir vorwärts, doch das bietet Gelegenheit Rehe zu erspähen, Rebhühner im Feld zu beobachten, Füchse zwischen die Bäume huschen und Hasen davonrennen zu sehen. Irgendwann haben wir den Asphalt wieder unter den Rädern und fahren nach Posen ein. Fahrradwege entwachsen dünnen Gehsteigen, als wir uns der Stadt nähern. Der Verkehr nimmt zu; und rechtzeitig entdecke ich vor uns einen Fahrradkurier-Pizzalieferanten. Perfekt! Ich erkenne unsere Chance und schleiße auf. Als heimliche Kolonne jagen wir drei zwischen sich stauenden Autoschlangen hindurch aufs Stadtzentrum zu. Im rechten Moment ruft Till hinter mir: ich glaube hier rauscht gerade die Altstadt an uns vorbei. So lassen wir den Pizzamann ziehen und schieben noch ein wenig zwischen den alten Häusern, die mit ihren verzierten Giebeln den Marktplatz säumen, hindurch. Es gibt einen Trinkwasserbrunnen. Hoah, I'm in love with this city :-)
Da es sich auf dem Marktplatz so schlecht campen lässt, verlassen wir Posen auf unserer rosa Route. Auf Tills GPS fehlt seit Grenzübertritt die Karte, nur eine im Nichts schwebende rosa Linie gibt hier den geplanten Weg an. So dirigiert er mich mit spontanen „rechts“- und „links“-Rufen aus der Stadt, immer dann, wenn die Linie einen Knick macht. Am Rande eines Feldes tauchen wir mit der Nacht in unserem olivfarbenen Zelt in die Unsichtbarkeit ein. Ein Waldstück erreichen wir nicht mehr, da eine ächzende Achillessehne die Weiterfahrt für diesen Tag verweigert.
Viel Autobahnlärm zieht sich wie ein roter Faden durch die Nacht. Ich habe am Morgen schrecklich Mitleid mit dem kleinen Dorf neben uns, das sicher jede Nacht vom Brausen geplagt wird. Nun gut, aber das ununterbrochene Hundegebell aus den Dörfern ohne nahegelegene Autobahn stufe ich in den folgenden Nächten nicht viel erstrebenswerter ein. Zum Glück sind die Nachtphasen lang genug und so folgen wir doch ausgeschlafen den Feldwegen gen Osten, heller Dreck und dunklerer Dreck auf den Wegen wechseln sich ab und führen uns vorbei an Mais, Tomaten, Paprika, Zwiebel, Kohl, Kartoffeln. Die Menschen nehmen kaum Notiz von uns zwei schwitzenden bepackten Radlern. Ich werfe mit Lächeln um mich, doch kann damit keine Reaktion auf den skeptischen Gesichtern erzeugen. Auch als wir unser Polnisch auf ein „dzień dobry“ aufgestockt haben, ändert das nicht viel daran. Wir sehen es positiv, immerhin stört sich auch niemand daran, dass wir hier wildcampen obwohl dies verboten ist.
Viele Süßigkeiten von der Selbstbedienungstheke im Supermarkt stärken uns (und halten sicher auch die Achillessehne auf Niedrig-mucker-Level) bei der doch anstrengenden Fahrt hinein nach Warschau. Als wir zur heißesten Stunde des Tages das Hostel erreichen, ist keiner da. Nicht mal ein Schild, das anzeigt, dass die Adresse korrekt ist. Doch das verunsichert uns nicht groß, wir kennen das aus Asien. Ein Anruf beim Besitzer klärt auf, wie man an den Schlüssel kommt. Und dann fühlt es sich doch plötzlich wie Urlaub an. Es gibt Pierogi im Restaurant, Chopinkonzert im Park, gestreifte Mäuschen, die beim Zuhören um unsere Beine spielen, beleuchtete historische Gebäude sowie Straßenmusiker in der Innenstadt. Warschau versprüht einen inspirierenden, künstlerischen Charme und wir genießen die lockere Atmosphäre. Und zwei Nächte ohne andauerndes Hundekleffen.
Dann wird es Zeit, Warschau zu verlassen und die Stadt gegen viele Kilometer von Obsthainen zu tauschen. Wir haben uns entschlossen, auch noch Krakau ins Reisesortiment aufzunehmen, so schlagen wir eine Südroute ein. Das Land wird hügeliger und ähnelt doch schon bald unserem Alpenvorland. Bei der Kombination aus Höhenmetern und sommerlichen >30° ist uns jeder See oder auch nur knöcheltiefe Fluss für eine Erfrischung willkommen. Im letzten Waldstück vor Krakau stellen wir das Zelt auf und erquicken uns an der kühlerwerdenden Abendstunde. Zwei Pilzsucher (Vermutlich, vielleicht haben sie auch etwas verloren) zeigen auf unser Zelt und fragen etwas. Doch mit einem „Sorry?“ und ein paar englischen Brocken als Beweis der Unverständnis lassen sie uns eine ungestörte Nacht verbringen.
In Krakau fahren wir genau zum Schlagen der Mittagsstunde auf den Marktplatz auf. Wir spazieren etwas entlang des ältesten mittelalterlichen Platzes Europas und sind genau dann im Hostel, als es kurz gewittert. Wir stehen unter dem überdachten Hinterhofzugang und freuen uns wie kleine Kinder über unser gutes Timing und die Tropfen, die uns nicht treffen. Schnell ziehen die Wolken vorüber und erlauben uns noch einen Streifzug durch das geschichtsträchtige jüdische Viertel, in dem sich auch Schindlers Fabrik findet und Teile von Spielbergs „Schindlers Liste“ aufgenommen wurden. Viel Kopfschütteln um die Grausamkeit des Natioanlsozialismus und die Frage danach, wie die Menschen so schrecklich sein können, begleiten unseren Spaziergang.
Da tut es uns so gut am nächsten Tag auf einen 'guten Geist' zu treffen, als wir in einem Wald umherfahren und uns unser GPS immer wieder ins Grüne schickt. Der ältere Mann ist ebenfalls zu Rad unterwegs, topfit, und bemerkt einen unserer 'Irrläufer'. Zunächst erklärt er uns, dass es da nicht entlang geht (erst in polnisch, verstehen wir nicht, danach eben in silent language) und zeigt schließlich, wir sollen ihm folgen. Er winkt uns ihm nach, deutet in eine Richtung und bringt wohl aus seiner Schulzeit ein deutsches „Straße“ hervor. Bald links, bald rechts führt er uns auf Waldwegen ins nächste Dorf, in dem ich mit einem polnischen „ulica“ (Straße) und einem „dziękuję“ meine Dankbarkeit ausdrücke. Bis zur Hauptstraße geleitet er uns, an der wir uns freudig verabschieden. Ich glaube er ist glücklich, ein paar verlorenen Radlern helfen gekonnt zu haben, und wir haben in ihm gezeigt bekommen, dass es doch überall gute Menschen gibt.
Mit dieser Erfahrung verabschieden wir Polen. Als wir nach langer Nachtlager-Suche schwitzend im Zelt sitzen, lassen wir Polen im Geist noch einmal Revue passieren: irgend etwas knallt immer, irgendwo bellt es immer, schöne Radwege (EU-mittelfinanziert) wechseln sich mit unbeschreiblichen Schotterpisten ab, und auf noch so hoppeligen Wegen kommt dir an der schmalsten Stelle immer ein Auto entgegen; Felder und Wälder, und doch schön. Dann Nippen wir an unserem Bierchen während die Nacht anbricht, resümieren, dass wir gut in der Zeit liegen, und nehmen zusätzlich Wien in unsere Urlaubsplanung auf. Wir hoffen, dass der Wetterbericht recht behält und die Nacht trocken bleibt, sonst muss die Reise doch schon hier im Sumpf steckende enden.
Am folgenden Morgen strecken wir die Köpfe aus dem Zelt, in der Sekunde beginnt es zu tropfen. Till: „Und nun?“ ich: „Schnell!“. Im Akkord bauen wir ab, packen nur wenig später das Zelt tatsächlich trocken ein.. und freuen uns. Die folgende Regenphase wird zum Zähneputzen genutzt. Der Tag ist als kompletter Regentag gemeldet, doch es lässt schon nach wenigen Minuten nach und wir machen uns für die Einfahrt nach Tschechien bereit. Wir steuern die Grenze an, eine grüne Grenze, und ein Feldweg führt uns von einem Land ins nächste. Schon ist es passiert. Nicht einmal ein Grenzstein zeigt an, dass man ein anderes Land geentert hat. Zunächst bin ich ein bisschen enttäuscht über die Unspektakularität. Doch dann rüttelt es mich: nein, genau so soll es sein. Das ist doch gerade die Stärke an Europa. Ins nächste Land gereist, einfach so. :-)
Tschechien zeigt sich gleich von seiner guten Seite. Radwege erwarten uns. Nach wenigen Metern begrüßen uns Apfelbäume – wir packen ein. Weitere Apfelbäume folgen am Wegesrand. Apfelbaum um Apfelbaum, vollbehangen mit Äpfeln, die zu Boden fallen. Die armen Äpfelchen, keiner nimmt sie ab. Es tut fast weh, einfach daran vorbei zu fahren. Doch es zahlt sich aus, Fahrt aufgenommen zu haben. Wir lassen Ostrau als Impression aus einer Mischung an westlichem Trend mit Bars & Parks und sowjetischen Überresten aus Skulpturen & verfallenden Gebäuden hinter uns. Und damit auch das Regenwetter. Wir sehen direkt bei der Ausfahrt aus dem Tal, wie es hinter uns regnet, doch über uns scheint die Sonne, dafür nehmen wir heiße und schwüle Luft in Kauf. Am Nachmittag kommt uns da ein einsamer Fischteich zur Abkühlung mehr als gelegen. Wenn auch keine Badeidylle, so beschließe ich doch, etwas von der Radfahrerpatina im See abzuwaschen. Vorsichtig schaue ich als ich die Beine eintauche auf die Oberfläche, und erwarte kollektiv aufsteigende Fischkadaver. Nichts. Dann platscht es laut, ich erschrecke mich wie wahnsinnig, als direkt neben mir ein Fisch aufspringt, scheinbar nach Luft schnappt. Till lacht sich bald tot, versichert (oder hofft?) aber, die schnappen nur nach Insekten.
Tschechien gefällt uns: die Menschen sind freundlich, die Städte hübsch und ordentlich. Es wird hügelig, am Horizont tauchen Berge auf und wir halten darauf zu. Es erinnert mit seinen bald auftauchenden Weinbergen gleich stark an Österreich. Da werden Erinnerungen an die Wachau in uns wach. Unsere Gedanken hängen dabei besonders bei unserem Aufenthalt zu dritt im Marillenhof Schwallenbach, wo wir uns vor 2,5 Jahren in familiärer Atmosphäre pudelwohl gefühlt haben. Die Dame des Hauses hat uns damals gut versorgt und uns einen sehr angenehmen Aufenthalt beschert, an den wir bis heute gern zurück denken. Wir sind uns einig: wir können nicht nach Wien fahren, ohne auch in die Wachau gefahren zu sein. Der neue Plan steht also: auf nach Schwallenbach.
So starten wir also im Nebel des folgenden Morgens, lassen Tschechien hinter uns und halten auf die Donau zu. Bei langsamer Fahrt durch das hügelige Land gibt Tills Pedale bei einem Anstieg ein deutliches Krachen von sich, dann Knacken und Schleifgeräusche.. das Pedallager gibt auf, eine Kugel hat es wohl zermahlen. Vorsichtig und eher stufenförmig tretend versuchen wir die 30km entfernt gelegene nächste größere Ortschaft mit Hoffnung auf einen Fahrradladen zu erreichen. Wir nähern uns langsam und freuen uns um jeden Kilometer, den wir ihr näher kommen. Dann dämmert uns, dass es bereits Samstag Mittag ist und die Läden wohl heute früher schließen werden. Wir verzichten also auf eine Mittagspause und legen einen Zahn zu, so erreichen wir 13:30 die Ortschaft. Zu spät, seit 12:00 hat hier alles geschlossen. Und nun? Na weiter, so lange es noch geht, fahren wir.
Der Eurovelo 9 zwischen Břeclav und Wien, den Till auf einer Karte entdeckt hat, führt uns durch braune Felder, gelben Mais und herbstliche Äcker die ersten österreichischen Kilometer entlang. Der Wind bläst uns entgegen und macht das Vorankommen mühselig. Dann endlich erreichen wir das Weinviertel, die ersten Reben, die ersten Dörfer mit ihren Heurigen und Haustüren, an denen selbgeschriebene Schilder für ‚frischen Sturm im Kühlschrank' werben. Was das wohl ist? Ich gehe mal nachsehen. Wir steigen also ab, gehen durch die Tür in der Einfahrt und erspähen gleich den angekündigten Kühlschrank. Darin befinden sich einige unetikettierte Flaschen mit aufgesetztem Papierdeckel und einer trüben, gelblichen Flüssigkeit. Sieht aus wie Federweiser. Wir probieren. Es ist Federweiser J Herrlich. Wir leeren unser Glas, werfen das Geld in die Spardose, die auf dem Tisch an der Straße steht, ein und setzen die Fahrt mit wachsamem Blick nach weiterer 'Sturmwarnung' fort.
Die letzten Hügel erklimmen wir unter der heißen Sonne, bevor bei der Abfahrt in flache Donautal die ersten Wolken den kommenden Regen ankündigen. Den Donauradweg entlang radelnd, auf das Wasser, die Hügel, die Weinberge blickend, überfällt mich ein unerwartetes, überwältigendes und einnehmendes Gefühl. Hier sind wir nach 2,5 Jahren wieder. Es fühlt sich ein wenig wie Nach-Hause-Kommen an. Diesmal bin ich aus eigener Kraft hier her gekommen. Alles wirkt vertraut: hier haben wir damals ein Bier getrunken, hier haben wir gecampt. Es ist ein wunderbares Gefühl.
Dann holt uns der Regen ein und wir beschließen, uns ein Quartier zu suchen. Es ist eine Unwetterwarnung herausgegeben und wir wollen den nächsten Tag nicht im Zelt verbringen. Schließlich haben wir Urlaub. So finden wir Unterschlupf in einem Hotel mit Blick auf: Tankstelle und Autobahn.. aber wer sieht schon groß aus dem Fenster. Wesentlich ist, dass unsere Esel das Unwetter geschützt im Keller verschlafen, und wir uns einen Tag im Bett gönnen können. Dazu ist Frühstück im Preis inbegriffen, Frühstücksbuffet. Buffet für Radreisende! Ob sie das richtig kalkuliert haben? 😉
Am darauffolgenden Morgen hat sich der Regen verzogen, es hat angenehme 18°C und die Sonne steht am Himmel. Wir folgen der Donau nach Westen und haben uns vorgenommen, Frau Schütz im Wachautal einen Besuch abzustatten. Bei der Fahrt dahin überlege ich mir, wie wir erklären, wer wir sind. Sie hat viele Gäste und kann sich drei Saisons später sicher nicht mehr an uns erinnern. Naja, wir hatten damals den Schlüssel bei der Abreise eingepackt und per Post zurück schicken müssen, vielleicht reicht das als Erkennungsmerkmal. Auf halbem Weg denke ich darüber nach, ob es wohl zu eigennützig ist, sie zu stören, nur um eine unserer Erinnerungen aufleben zu lassen. Ob es egoistisch ist? Was erwarten wir? Doch die Fahrt ist herrlich und die Zweifel weht der Fahrtwind hinweg, als wir in das Weingebiet mit den steilen, schroffen Hängen einfahren. Malerisch liegen die Weinstöcke an den Rändern der Donau und ziehen sich die Felsen hoch. Wie von selbst rollen die Räder in die Einfahrt des Marillenhofes. Wir zögern ein bisschen. Einmal Luft holen, dann klopfen wir an die Türen, keine Reaktion. Wir rufen über den Hof. Keine Antwort. „Keiner da.“ „Tja, das war’s dann wohl.“ Wir wollen schon abfahren, da kommt die Schwiegertochter gefahren und fragt, wie sie uns helfen kann. „Ja, naja, wir suchen Frau Schütz.. ähm.. also wir waren schon mal da und wollten nur mal Hallo sagen.“ Meine ich zu ihr. Klingt irgendwie blöd. Sie sagt, sie schaut mal im Garten nach und fährt mit dem Wagen ums Haus herum. Wir warten also. Nichts passiert. Es dauert eine Weile, dann meint Till: „Da kommt jemand den Hang herunter“. Gut, ich habe mir schon zurecht gelegt, wie ich (umständlich) erkläre, wer wir sind.
Frau Schütz kommt um die Ecke, sieht uns und erkennt uns sofort wieder, begrüßt uns herzlich, weiß sofort wer wir sind. Sie hat unseren Blog bis zur Heimkehr verfolgt und freut sich über das Wiedersehen. Manchmal sind wir Deutschen einfach viel zu kompliziert. Am Ende des Tages haben wir ihr eine Freude machen können und freuen uns wie verrückt darüber. Mit einem herrlichen Nachmittag hinter uns, einer neuen Erinnerung und ein paar Flaschen des besten Wachauweines im Gepäck radeln wir heiter den Donauradweg wieder zurück, bis wir die Sonne hinter den Bäumen versinken sehen. Am Rande der Donau bieten uns ein paar Bäume ein Plätzchen für die Nacht, hier haben wir noch ganz fest die Freude der guten Dame vor Augen. Ist das nicht das wahre Glück, wenn dir jemand ein Lächeln schenkt?
Wir halten Kurs auf Bratislava. Die Hauptstadt der Slowakei liegt nur ca. 80km von Wien entfernt und der Eurovelo 6 führt uns hinein. Ein kleines Stück der 'Lücke' auf der Landkarte können wir mit diesen Kilometern schließen, die sich vor 2,5 Jahren durch die gezwungene Zugfahrt nach Budapest ergeben hat. Die Burg von Bratislava kündigt schon von weitem die Stadt am anderen Donauufer an. Das Stadtgebiet ist von Radwegen umgeben und durchzogen und die Fahrt angenehm, Tills Pedale knackt, aber hält immer noch. Es erwartet uns hier ein Warmshowers-host in seinem Gewächshaus. Erich ist ein freundlicher Kerl mit großem Herzen, eine Teil seiner Ernte gibt er an bedürftige Familien weiter und nebenbei bietet er Radreisenden einen Unterschlupf für die Nacht. So können auch wir zwei Nächte in einem Hochbett unter dem Glasdach des Gewächshauses mit Blick in dem nächtlichen Himmel verbringen. Eine tolle Atmosphäre, die wir jedem Besucher der Stadt nur weiterempfehlen können. (https://www.booking.com/hotel/sk/rastlinky-reed-cottages.sk.html) Hier geht unsere kleine Urlaubsreise zu Ende. Vorerst. Auch wenn sich der Donauradweg nach 'Heimkommen' angefühlt hat, so hat er doch auch Lust auf viel mehr gemacht.