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janine

Es hat die gesamte Nacht geregnet. Beim Frühstück, es gibt Porridge, mit Graham und Leslie beobachten wir die bunten Papageien, die auf der Wiese vor den Fenstern zwischen den Büschen mit ihren vielen Blüten grasen. Es ist zwar kalt und die Prognose sehr regnerisch, aber gerade regnet es nicht, so beschließen wir aufzubrechen. Langsam und stetig arbeiten wir uns in die Berge hinauf. Der Wind aus Süd, Gegenwind, nimmt zu, doch wir kommen trocken durch den Tag. Bis Yolla ist die Gegend bewohnt, wir passieren Häuser, Wiesen und Kühe auf hügeligem, grünem Land. Dann wird es waldig: zunächst Nadelwald mit grau-gelben Papageien in den Bäumen (eine sehr ungewohnte Kombination für unser Auge), dann Gumtreewälder, die sich mit brachen Flächen als Folge der Forstwirtschaft für die Papierindustrie abwechseln. Über diese kahlen Stellen pfeift der Wind. Allmählich wird der Wald zum Regenwald. Dichtes Gehölz umgibt uns, viele mannshohe Farne, Moose an den Stämmen und auf den Ästen. Nachdem wir auf 400 Höhenmeter vom Meeresniveau aus hinaufgestiegen sind, fahren wir in eine steile Schlucht hinab. Es ist Mittagszeit, als wir die Abfahrt beginnen und ich witzle: da fahren wir jetzt noch hinunter und unten warten dann Tisch und Stühle auf uns. In der Senke angekommen macht sich ein dickes Grinsen auf unseren Gesichtern breit, als sich tatsächlich ein Rastplatz mit Sitzgelegenheiten findet.

Gestärkt und etwas angefroren geht es nach der Mittagspause aus der Schlucht ebenso steil wieder hinauf, wie es hinunter ging. Da wird einem schnell wieder warm. Wasserquellen rinnen aus den Felsen direkt neben uns. Serpentinenartig schlängelt sich der Weg nach oben, weiter nach oben, bis wir auf 650 m hinaufgefahren sind. „Wieso haben wir den Blick auf die Berge verloren?“ Fragen wir uns. Weil wir mitten drin sind, sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht. Die Höhenluft wird am Nachmittag schnell kalt und wir schlagen unser Zelt auf einem Rastplatz auf. Ein Schild besagt zwar, dass dies hier nicht erlaubt sei, aber ist so schöner Moosboden, da können wir nicht widerstehen.

Trotz des Verbotes bleiben wir am Morgen lange im Zelt, da es uns sehr kalt erscheint. Als wir hinaus treten, ist der Rasen um uns herum mit einer frostigen weißen Schicht überzogen, das erklärt dann auch unser frösteliges Gefühl. Doch die Luft ist klar und die Sonne steht am Himmel, das macht Lust zum Aufbruch. Zum Warmwerden geht es noch ein paar Höhenmeter bergauf, bevor wir bis Tullah etwa 600 Höhenmeter wieder hinunter brausen. Unten angekommen lassen wir uns unser Müsli schmecken, nachdem wir das letzte Eis vom Zelt geschüttelt haben und dieses in der Sonne trocknet. Gestärkt kommen wir an eine Kreuzung, an der wir uns entscheiden müssen: entweder folgen wir der Hauptstraße – mit weniger Höhenmetern und der Aussicht auf das Verbringen der folgenden Nacht in weniger kühler Höhe – oder wir fahren hinauf zu Lake Plimsoll, wo wir Gefahr laufen, die Nacht auf > 600 Metern zu verbringen. Wir entscheiden uns für die Plimsoll-Route.

Zwischen felsiger Szenerie arbeiten wir uns die ruhige Straße zu dem See hinauf, schwitzen, doch genießen die schöne Felslandschaft. Neben uns rinnt das Wasser aus naheliegenden Quellen den Fels hinab. Bis zur Tagesmitte haben wir den Anstieg fast bewältigt und können nun zwischen den noch vor uns liegenden Bergkuppen den See erspähen. Es ist ein atemberaubender Anblick, der uns auf den letzten Metern anspornt und die kurze Abfahrt zum Seeufer hinunter einzigartig macht. Dort können wir unser Toast mit Seeblick verzehren. Kein Mensch weit und breit, nur wir, der See, und… ein Hahn. Sicher ist keine Farm in der Nähe – das gibt uns Rätsel auf, was der wohl so allein hier draußen macht. Er trappelt uns vor den Füßen herum und bekommt ein bisschen Brot ab, sowie die Reste unserer Äpfel. Wir taufen ihn Reggie Rooster.

Zwischen den Felsen führt die Straße durch die hügelige Gegend, bevor es all die Höhenmeter wieder hinunter geht. Wir hätten nicht erwartet so weit zu kommen und sind nun glücklich, die Seeroute genommen zu haben und dennoch am Abend auf niedriger Höhe einen Schlafplatz zu finden. Diese Nacht, diesmal in Mitten des Regenwaldgehölzes, wird nicht ganz so kalt. Der Boden ist am Morgen noch matschig und nicht gefroren. Nur vor dem Blutegel müssen wir uns in Acht nehmen. Ich sehe ihn, als ich die Augen aufschlage, wie er an der Außenseite des Innenzeltes entlangwandert und eine Lücke ins Innere sucht. Glücklicherweise findet er keine und Till lässt ihn wieder in sein heimisches Terrain umziehen.

Nach etwa 20 Kilometern führt unsere Route in das Städtchen Queenstown. Es hat einen süßen Bahnhof, den viele blühende Blumen umgeben. Im Sonnenschein auch dieses Tages ringen die bunten Farben darum, wer wohl die Prachtvollste ist. Das ist aber das Highlight, der kleinen Stadt mit den einfachen Blechhäuschen, die während des Bergbau-booms im 19. Jahrhundert gegründet wurde. So verweilen wir nicht lange und wagen uns an die Auffahrt, die gewaltige Gebirgswand hinauf, die die im Tale liegende Stadt nach Osten hin übertrumpft. Immer wieder werfen wir einen Blick ins Tal hinab, in dem die Stadt zunehmend kleiner und so die gewonnene Höhe deutlich wird. Als wir den Bergkamm erreicht haben, fordern unsere Mägen Frühstück, welches wir mit Gipfelblick zu uns nehmen.

Von dem Parkplatz aus führt ein Pfad zu einem Wasserfall, der mit 30 Minuten Gehstrecke ausgewiesen ist. Einen Wasserfall hier oben vom Bergkamm aus zu sehen, das reizt uns. Und so tun wir etwas, das wir bis dahin noch nie gewagt haben. Wir schließen unsere Räder auf dem Parkplatz zusammen und begeben uns gemeinsam auf den Weg. Wir lassen die Esel einfach stehen. Einfach so. Allein. Ein ungutes Gefühl begleitet mich. Nach ein paar Minuten sehen wir den Wasserfall, der zu dieser Jahreszeit eher ein Wasserfällchen ist und den weiteren Aufstieg zur Aussichtsplattform nicht wirklich lohnt. Wir drehen daher um, Till will noch ein Foto ins Tal hinab schießen, doch ich kann nicht warten. Ich laufe schon zurück zum Parkplatz. Zügigen Schrittes und mit jedem Schritt noch zügiger.. und.. da sind sie, die Eselchen. Genauso, wie wir sie zurück gelassen haben. Huhh.

Das mäßige Wasserfallerlebnis und die gute Erfahrung im Abnabelungsprozess von den Rädern veranlasst uns dazu, das gleiche etwa 30 Kilometer weiter bei den Nelson Falls erneut zu versuchen. Diesmal mit mehr Vertrauen in die Menschheit und mit einem spektakulären Wasserfall zur Belohnung. Allein der Wanderweg zum Wasserfall hin ist ein Erlebnis: im Schatten der Pflanzen des Regenwaldes führt der Pfad zum Felsen, den das Wasser hinab stürzt und sich dann als klarer Bach neben dem Pfad entlang windet. Bei der anschließenden Fahrt durch die 'Wilderness' meine ich zu Till: „Lass uns einfach vorstellen, der Asphalt wäre das Wasser eines Flusses, auf dem wir nun durch die unberührte Natur schippern und ihre Ursprünglichkeit bestaunen.“ Besser kann es auf der Flussfahrt entlang des Gordon-Rivers, die mit je 160$ unser Budget weit überstiegen hätte, auch nicht sein.

Es folgt ein Stück schwarzes, abgebranntes Land, bevor es wieder waldig wird und sich die Berge, teils mit Schnee bedeckt, dahinter abzeichnen. Auf einer Informationstafel erfahren wir, dass das kontrollierte Abbrennen das Grasland saftig hält und von Schädlingen reinigt. Am Fuße des nächsten Berges meint ein Mann aus einem Wagen heraus zu uns: da liegt ein langer und gewaltiger Anstieg vor euch! Den, beschließen wir, lassen wir dann lieber für morgen und nutzen die abgelegene Freifläche, zu der es von der Straße aus abgeht, zum Campen. Ein paar Pfützen, sonst steiniger Boden, und dennoch „Hallo Egel!“ müssen wir erneut den Blutsauger von unserem Zelt umsiedeln.

Der folgende Tag beginnt mit der Auffahrt auf 850 Meter. Auf dem Pass belohnt uns der Blick ins 'Surprise valley', hinter dem man die schneebedeckten Kuppen der Cradel Mountains sehen kann. Im Tal leuchtet das natürliche Grasland golden im Licht der Morgensonne. Wir wollen am Lake St. Clair rasten, doch scheint es zunächst kein Herankommen an den See zu geben, ohne die 2x12$ Nationalpark-Gebühr zu zahlen. Nach etwas Umsehen finden wir aber eine Zufahrt zu einem Bootsanleger, die ohne Gebühr passierbar ist. Es herrscht Stille, das Wasser ist kristallklar und das Licht der Sonne glitzert darauf. Grüne Bäume umgeben den See, Berge im Hintergrund – es ist ein spektakuläres Panorama, das unser Müsli begleitet.

Die an diesem Tag folgenden Gumtree-wälder und Wälder, die von der Forstwirtschaft gezeichnet sind, können mit dem wundervollen Seeblick am Morgen bei weitem nicht mithalten. So zehren wir während des Tages von dieser Impression, auch noch während wir in einem Waldstück unser Zelt aufbauen. Und wer winkt uns hier zu, als wir das Groundsheet aufschlagen? Genau, unser Freund der Egel.

Die Esel tragen uns weiter in Richtung Süden, in Richtung Hobart. Die Hauptstadt der Insel liegt am Meer und alle Höhenmeter gilt es in umgekehrter Richtung zu machen, jedoch nicht ohne vieles Auf und Ab, mit unzähligen Switchbacks auf der Abfahrt. Wir fahren zunächst nach Ouse hinab, welches zwischen den grünen uns umgebenden Hügeln im Tal aus den tief hängenden Nebelfeldern empor schaut. Dann gelangen wir ins Tal von Norfolk, die grünen Berge, die es umgeben, sehen aus, als seien sie mit Samt bebezogen. Zur Tageshälfte sind wir nahezu auf Meereshöhe angelangt und folgen auf flacher Strecke einem Fluss in Richtung Ozean; durch Wiesen und Plantagen von Kirschen- und Aprikosenbäumen, ganze Felder, die mit Netzen überspannt sind. Ein Bild, das uns wieder an unsere ersten Kilometer entlang der Donau denken lässt.

Über einen Radweg gelangen wir bis in den Stadtkern, bis zu Host Dave. Ich habe ihn von der Sekunde an ins Herz geschlossen, als er uns auf dem Radweg in neongelb bekleidet entgegen kommt. Sogar die Socken sind neongelb und an seinen Radtaschen baumeln gelbe und rote Reflektoren. Die Dusche in seinem Haus nach den Tagen in den Bergen ist goldwert und seine Gesellschaft und die vielen Geschichten ebenso. Er zeigt uns am Abend den Salamanca Square und lädt uns zum Nationalgericht 'Fish & Chips' ein. Der Einfluss aus der englischen Kolonialzeit ist hier sehr deutlich. Nicht nur bei den traditionellen Speisen, auch bei der Flora: Eichen und Kastanien stehen im Stadtgarten – da wird uns gleich ganz warm ums Herz. Damit kein Heimweh aufkommt, kühlen wir die Wärme mit gaaanz viel Eincreme runter ?

Am folgenden Tag bietet Dave an, mit uns auf den Mount Wellington zu fahren. Wir nehmen den Vorschlag gerne an, auch wenn uns der Fels, der die Bucht überragt, zunächst nicht wirklich spektakulär vorkommt. Doch allein die Autofahrt die Serpentinen des 1200 Meter hohen Berges hinauf lehrt uns eines Besseren. Wir schlängeln uns erst durch die Stadt, dann durch hohe Gum-Trees, dann durch Büsche, zwischen denen keine Bäume mehr wachsen, bis wir schließlich die karge Mondlandschaft auf dem Gipfelplateau erreichen. Die grauen, felsigen Zapfen, die uns umgeben, sehen direkt unwirklich aus. Beim Aussteigen zieht es uns fast von der Stelle, so ein starker Wind weht oben. Zudem ist es etwa 10°C kühler als noch beim Einsteigen. Doch Dave kennt die herausfordernden Wetterbedingungen des Berges und hat uns daher dicke Daunenjacken mitgebracht. Eingehüllt bis zum Hals bietet sich uns ein großartiger Blick auf die Stadt zu unseren Füßen, den Hafen, einen Leuchtturm auf einer Insel, die Bucht – es ist einfach atemberaubend. Und das ohne einen vollen Tag bei der Auffahrt geschwitzt zu haben ?

Zum Abschied bekommen wir noch einmal die Gelegenheit, Dave’s Fat Bike fahren zu dürfen. Mit den Reifen, so breit wie die eines Mopeds, brettern wir über Kies, Rasen, Sand, ohne Widerstand zu spüren. Eine witzige Erfahrung. Doch am Ende sind wir froh, wieder in den Satteln unserer eigenen Esel zu sitzen und verabschieden uns in Richtung Ostküste. Drei Berge gilt es zu überwinden, bis wir das Ostufer erreichen. Der Verkehr ist deutlich stärker als an der Westseite, die Landschaft ähnelt der auf der Hauptinsel: Gum-Trees, Wiesen und Schafe, und Zäune dicht an beiden Straßenrändern.

Bei heftigem Gegenwind durchqueren wir die monotone Landschaft. Es ist mal wieder Fliegviecher-klatsch-mir-ins-Gesicht-Tag. Die Begegnung mit Camillo, einem kolumbischen Radreisenden, der für seine erste Radreise Tasmanien ausgewählt hat (Respekt!), liefert da eine willkommene Abwechslung. Er ist in die entgegengesetzte Richtung unterwegs und so bleibt es bei einem kleinen Plausch und dem Austausch unserer Kontaktdaten. Wir wünschen ihm für die Westküste, die uns so viel besser gefallen hat, viel Spass und setzen unsere Fahrt fort. 100 anstrengende Kilometer lang. Mit müden Beinen erreichen wir Coles Bay und rasten erst einmal in am Seeufer. Die braunen Berge der Bucht, die roten Steine im klaren blauen Wasser, der gelbe Sand – das alles wirkt sehr harmonisch und scheint farblich perfekt aufeinander abgestimmt.

Wir checken in den Nationalpark ein (2x12$ für 24h + 13$ Camping-ticket) und radeln zu der uns zugewiesenen Stelle – und schon bereuen wir fast, uns ausnahmsweise für einen entgeltpflichtigen Campingplatz entschieden zu haben. Waren doch die wilden Plätze der letzten Wochen von viel besserer Qualität. Der Boden des eingezäunten Areals, in dem das Zelt stehen soll, ist hart wie Beton und es ist unmöglich, hier auch nur einen einzigen Hering einzutreiben. So bleibt uns nichts anderes übrig, als das Zelt neben der Absperrung, halb auf der Sanddüne (ausdrücklich verboten) aufzustellen. Nun haben wir einen riesigen freien Zeltvorplatz, aber mit eigenem Zugang durch die Düne zum Meer.

Was kann es schöneres für einen Radfahrer geben als nach anspruchsvollen 100 Kilometern einen Berg hinauf zu klettern? Da für den folgenden Tag Regen gemeldet ist, beschließen wir, trotz der Kilometer in den Beinen noch am selben Tag zum Aussichtspunkt auf den Berge zu steigen. Der Wanderweg ist mäßig anspruchsvoll, und die Familie mit Kleinkind hinter uns, spornt uns beim Aufstieg an. Schließlich wollen wir uns nicht von einer Dreijährigen überholen lassen. Oben angekommen haben wir einen schönen Blick in die Wineglas Bay, durch die der Wind ganz knapp über dem Wasser weiße Wolken treibt. Das ist vielleicht nicht der klare Postkartenblick, den wir erwartet haben, doch beeindruckend ist er allemal. Nach dieser ungewohnten und anstrengenden Kletterei tut uns sogar die kalte Dusche gut (Warmwasser kostet extra).

So motiviert aufzustehen, wie am folgenden Morgen, habe ich Till kaum je zuvor gesehen. Unser Zelt ist ausnahmsweise mal trocken und er ist guter Dinge, es vor Einsetzen des Regens einzupacken. Dank seines Eifers gelingt dies und so putzen wir mit einem kleinen Hochgefühl Zähne, das nur von den unzähligen Mücken, die uns dabei stechen, ein wenig getrübt wird. Sogar beim Fahren sind sie nicht abzuschütteln. Erst als wir den Nationalpark verlassen, verschwinden sie. Unser Weg führt uns nach dem Nationalpark über den Elephant Pass durch ruhigen Wald, in dem wir bei unserer langsamen Aufwärtsfahrt den Ameisenigel entdecken. Bis wir St. Marys hält das Wetter durch, erst auf den letzten Metern öffnet der Himmel seine Schleusen und durchnässt uns vollkommen. Was bin ich froh, dass wir bei Warmshowers-Host Sandi Halt eingeplant haben. Er empfängt uns mit einer Tasse heißem Kaffee und frisch gebackenem Brot. Nach dieser Stärkung und einer warmen Dusche ist die ungewollte Dusche schnell vergessen, und wir sind bereit, Planet Sandi kennen zu lernen. Im Garten ist die Hand des einstigen Landschaftsgärtners zwischen dem Trockenmauerwerk, Zickzack-Wegen und den Erziehungsformen beim Obstanbau unschwer zu erkennen. Hier wachsen Obst, Gemüse und Kräuter, aus denen Sandi ein herrliches Abendessen und einen Obstwein zaubert. Was für ein gelungener Tagesabschluss.

Beim nicht weniger schmackhaften Frühstück fällt das Gespräch kurz auf Tills gewecktes Interesse fürs Angeln, und schon hat Sandi die Tagesplanung gemacht. Er nimmt uns mit zum Fischen am Meer, zeigt uns, wie man die Angel hält und erklärt, für welche Fische man den Köder ruhig halten oder 'zappeln' lassen muss. So ein wenig auf der Brücke stehen und runter gucken finde ich ganz nett, doch hoffe ich dabei, dass bei mir keiner anbeißt, was hätte ich für ein Mitleid. Ich fange nichts, Till auch nicht, doch in ihm scheint eine neue Leidenschaft geweckt. Auch die Wallaby-meatballs am Abend sind ganz nach Tills Geschmack.

Wir verabschieden Sandi mit einem Handabdruck auf seiner 'Wall of guests' und verabschieden auch meine allzu sehr zerfetzte Hose. Ohne Hose geht es weiter.. nein, natürlich nicht. Mit Hose aus dem Op-shop fahren wir zur Bay of Fires. Während wir uns über die Reste des Brotes und des Toad-in-the-hole hermachen, die uns Sandi als Wegzehrung eingepackt hat, schauen wir in die Bucht. Die roten Felsen, denen ein Überzug von Lichen ihre Farbe gibt, liegen wie gestrandete Meerestiere im weißen Sand – ein seltsamer Anblick.

Um weiter in Richtung Westen zu gelangen, schlagen wir eine Gravel-Road ein, womit wir vermeiden, auf gleicher Straße zurück fahren zu müssen. Zu Beginn sieht der Grund noch recht fest aus, doch nach wenigen Kilometern wird er immer steiniger und macht das Bergauffahren schwer. Ein einziges Geschüttel und Gehoppel durch Gumtreewald hindurch. Wenigstens sollte es hier, wo sich Wallaby und Wombat Gute Nacht sagen, einfach sein, einen Platz für die Nacht zu finden. Doch der hohe Bodenwuchs und der steinige Grund geben uns eine ordentliche Herausforderung auf. Schließlich höre ich Till aus einer anderen Richtung vom Heringstest rufen: „Hier drüben geht es. Wir müssen nur ein paar Farne mähen“.

Nach knapp einer Stunde über Geholper haben wir am folgenden Tag endlich wieder Asphalt unter den Rädern; genau in dem Moment, als der Regen einsetzt. Was für ein Timing, wir hätten die Schotterpiste nicht noch zusätzlich als Matsch-Allee erleben wollen. Wir nutzen jede Regenlücke und arbeiten uns langsam von Bushaltestelle zu Rastplatz. Neben dem Wetter wird es auch landschaftlich der Hauptinsel immer ähnlicher: ein einziges Auf und Ab, das in einem Anstieg auf 600 Meter nach Scottsdale gipfelt. Hier campen wir an einem Aussichtspunkt mit Blick ins hinter uns liegende Tal, das noch von der Sonne hell in allen Grüntönen der Natur erstrahlt.

Der Morgen hält die Abfahrt in ein Hochtal bereit. Wir fahren in ein grünes Tal mit Weidewiesen und Kühen ein, welches von Bergen umrandet ist. An den Hängen stehen hohe Bäume in deren Wipfeln die letzten Reste des nächtlichen Nebels hängt, der sich langsam verabschiedet. Es ist ein atmosphärischer Moment. Die weitere Fahrt bringt uns über Wiesen, die mit einzelnen schlafenden Häusern gespickt sind. Hinter den nächsten Hügeln wird im Tal der Anschein einer Häuseransammlung sichtbar. Als wir die Hügel passieren, bietet sich dann der volle Anblick einer Stadt, die sich die in alle Richtungen umgebenden Berge hinaufzieht: Launceston. Das ist für uns der Beginn der Rückkehr an die Nordseite der Insel. Die Tage sind kälter als an der Ostküste und führen uns weiter durch kleine Städtchen aus englischer Kolonialzeit.

Kein Wölkchen trübt am Abend nördlich von Westbury den Himmel und es ist schwer vorstellbar, dass der nächste Tag verregnet sein soll. Doch am Morgen ist der Himmel wolkenbehangen, grau in grau und nasskalt. Wir nutzen den Tag dazu, eine Honigfarm zu besichtigen (und dort unzählige Honigsorten zu verkosten bis uns übel ist), eine Käserei zu besuchen und das free Tasting in einer Schokoladenfabrik mitzunehmen. Am Abend ist erneut schönstes Wetter – es bewahrheitet sich eben, was uns angekündigt wurde: in Tassie gibt es vier Jahreszeiten, alle innerhalb eines Tages.

Für den Abschied von der Insel haben wir uns den Letterbox-Trail vorgenommen. Auf dem Weg dorthin bietet sich uns ein wundervoller Blick auf Mount Roland, dem wir immer näher kommen, der als Massiv vor uns empor ragt und der sich uns in den Weg zu stellen scheint. Nach dem Durchqueren einer gewaltigen Schlucht erreichen wir endlich Moina – hier soll der Trail beginnen. Meine Finger schmerzen vor Kälte, doch wir fahren voller Erwartung weiter. Doch zunächst gibt es nur Wald, keine Häuser, und damit auch keine Briefkästen. Erst im späteren Verlauf entdecken wir ein paar vereinzelte originelle Exemplare: ein Motorrad, einen Traktor, einen Wanderer, einen Engel.

So verbringen wir die verbleibende Zeit mit einem Tasting von Wein- und Cider aus lokalen Früchten. Kurz vor Abfahrt der Fähre treffen wir in Devonport noch einmal auf Camillo. Aus gesundheitlichen Gründen konnte er die Westküste nicht beradeln und ist daher schon früher wieder in der Hafenstadt. So können wir bei einer gemeinsamen Campingmahlzeit Geschichten austauschen und noch eine beeindruckende Erfahrung machen. Es gibt in Australien Mini-Dosen Baked Beans (1/3 einer normalen Dose), die mit 'einem Serving' betitelt sind. Wir haben uns schon die ganze Zeit gefragt, wer wohl von so einer mickrigen Portion satt werden soll. An diesem Tag haben wir die Antwort: Leute wie Camillo.

Die Rückfahrt zur Hauptinsel verläuft diesmal ohne Zwischenfälle. Pünktlich 05:30 am Morgen erreichen wir Melbourne. Der Tag bricht gerade an, durch die noch ruhige Stadt geht es auf einem Radweg nach Fitzroy. Wir lassen die hohen prunkvollen Wolkenkratzer hinter uns und kommen in ein künstlerisches Viertel, in dem die lila Blüten der Bäume die Straßen in einen süßen Duft hüllen. Wir gelangen zur Tür von Ann und David. Die beiden haben wir entlang der Great-Ocean-Road getroffen, David hat uns dort einen Kaffee spendiert und nach nur einem Kaffeeplausch Logis in Melbourne angeboten. Und hier sind wir nun.

Im Café am Quai haben wir uns damals keine Vorstellung davon machen können, wie herzlich wir hier empfangen und versorgt werden. Die beiden haben Fahrradkartons für unseren Flug organisiert, sie zeigen uns ihre Stadt, kochen für uns und lassen es sich nicht nehmen, uns am Ende bis ans Terminal des Flughafens zu fahren. Wieder einmal haben uns vollkommen fremde Menschen den Aufenthalt unendlich wertvoll gemacht. Somit stehen diese letzten Tage für all die guten Erfahrungen, die wir hier in Australien hatten. Habe ich das Land in den ersten Wochen gehasst, so habe ich mich doch mit ihm durch Tasmanien und die vielen tollen Menschen ausgesöhnt.

Der Flieger startet in die Nacht und damit heben wir ab ins letzte Abenteuer unserer Reise. Am Ende des Fluges wartet Neuseeland auf uns.

Kommentare

Submitted by Katrin (nicht überprüft) on Do, 08.11.2018 - 10:05

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Das sind direkt sich 2 Dinge die ich immer mit Australien verbinde werde. Ich liebe diese Bäume. Und hab mich diebisch über die vielen kleinen Sachen gefreut, ob Bohnen oder Nutella. Alles gibt es dort in winzig. Sogar Pfannen für genau ein Spiegelei :)
Viel Spaß auf dem letzten Abschnitt in NZ

Submitted by Andrea (nicht überprüft) on Fr, 09.11.2018 - 21:16

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Dank eures ausführlichen Berichtes ist es mir, als wäre ich selbst in T. gewesen, eben mal schnell heute Abend.
Beeindruckend fand ich z.B. die roten Steine (Bay of Fires) und die Bergseen. Und wieder hattet ihr so nette Gastgeber...
Nun wünsche ich euch für die letzten Etappen alles Gute und noch viele wunderschöne Eindrücke, Erfahrungen sowie Begegnungen.
Seid lieb gegrüsst von A aus B

Submitted by Julia & Christian (nicht überprüft) on Fr, 09.11.2018 - 22:29

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Hallo ihr Lieben!
Das sind ja wieder so geniale Bilder, einfach unvorstellbar was ihr schon alles gesehen und erlebt habt. Auf die vielen Verkostungen bin ich ja schon ein bisschen neidisch ?
Wir wünschen Euch alles Gute für die letzte Etappe der Reise, auf ein baldiges Wiedersehen in der Heimat!

Submitted by Martina (nicht überprüft) on Sa, 10.11.2018 - 16:32

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Vielen Dank für die tollen Bilder und euren Reisebericht! Ich bin ja sehr froh, dass du dich nun ein bisschen mit Australien aussöhnen konntest, die ersten Berichte klangen ja nicht so gut. Aber was bleibt, sind am Ende die schönen Erinnerungen! Habt eine gute Reise durch Neuseeland!
GLG

Und am Ende sind es doch alles Erfahrungen, nicht? Mittlerweile sind wir sogar über den Indien-schock hinweg und können über die kulturellen Unterschiede, die uns einst an unsere Grenzen brachten, lachen. Fühl dich gedrückt! Janine

Submitted by Annegret (nicht überprüft) on Mo, 12.11.2018 - 17:07

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Es ist so schön , das alles zu lesen und mit zu verfolgen ..
Vielleicht gibt es irgendwann mal einen Reisebericht von Euch beim „Rooch“ ..
Eure vergangenen Erlebnisse sind ja eigentlich kaum zu toppen !
Alles Gute für die letze Etappe! LG
In Neuseeland lebt übrigens ein ehemaliger Erlbacher ..
Da die Welt e Dorf is ...
vielleicht lauft Ihr Euch über den Weg ?

Liebe Annegret, 

Noch haben wir den Auswanderer nicht getroffen, aber dafür viele andere Deutsche. Leipzig, Zwickau, München, Alpenvorland - alles vertreten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Eventuell laufen wir ihm auf der Nordinsel über den Weg. Um das Auffinden zu vereinfachen, sollten wir uns vielleicht, ähnlich wie in Japan, ein Schild hinten ans Fahrrad spannen mit der Aufschrift: "Wo sind die Erlbacher?" Was bei jeder Kirwe funktioniert, sollte doch auch hier klappen, oder?

Beste Grüße nach Mkn

Janine

 

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