Wir tauschen überraschte und erschrockene Blicke aus, als die Zeltstange mit einem lauten Krachen auseinander bricht. „Kann man das mit Duct-tape flicken?“ Frage ich. „Nein, das ist nicht zu kleben“ meint Till. Wir blicken auf den langen klaffenden Riss. Dann erinnert sich Till „In irgendeiner Tasche müssten wir ein Ersatzglied haben“ und nach ein bisschen Taschenwühlen bringt er 15 Zentimeter Hoffnung hervor. Das gebrochene Stangenglied ersetzen wir, fädeln die Stücke wieder auf die Leine, verknoten. Sieht nicht schlecht aus. Wir wagen einen neuen Versuch, ganz vorsichtig richten wir das Zelt auf – hält. Nun bleibt nur zu hoffen, dass den anderen strapazierten Stangenteilen nicht in den verbleibenden sechs Wochen das gleiche Schicksal blüht. Wir haben nur dieses eine Ersatzteil.
Wir brechen früh morgens auf, mit der Absicht die windärmeren Tagesstunden zu nutzen. Doch bereits jetzt weht uns der Nordwind heftig entgegen. Till ist schon der Kapitulation nahe: „So erreichen wir heute niemals Queenstown“, doch ab Kingston liegt ein sehr hügeliges Stück Weg vor uns, auf dem der Wind weniger heftig zu spüren ist. So fahren wir auf und ab, auf dem vielbefahrenen Highway 6 am Lake Wakatipu entlang. Das wolkenbehangene, mystisch in Szene gesetzte Bergpanorama um den See herum begleitet uns. Wasser rinnt die uns umgebenden Felsen hinunter und durch unzählige Unterführungen zu unseren Füßen hindurch in den See. Am Nordufer des Sees tauchen gehen Mittag helle Punkte auf, mehr und mehr, die als Häuser einer Stadt erkenntlich werden. Es ist Queenstown. Am Bergsee gelegen und von Bergen umgeben macht es einen verträumten Eindruck auf uns. Nachdem uns der Touristentrubel in Te Anau, welches als Geheimtipp gilt, schon zu viel war, beschließen wir, es bei Queenstowns Anblick vom Ostufer aus zu belassen und an Stadtattraktionen nur Pack'n'Save, den günstigsten Supermarkt des Landes, zu besuchen.
Till muss den schwierigen Einkauf übernehmen: einerseits möchten wir günstig Lebensmittel erwerben, andererseits will man nicht unnötig Ballast den Berg hinauf karren. Und da ein gewaltiger Anstieg vor uns liegt und er den Großteil der Lebensmittel transportiert, ist es nur fair, dass er für den Umfang des Einkaufs verantwortlich ist. Mit gefüllten Taschen steigen wir in einem Zickzack in die Crown Range auf, zum höchsten Pass Neuseelands, über den eine befestigte Straße führt. Während des steilen Anstieges mischt sich der Duft der uns umgebenden Blüten mit dem Geruch des Bremsabriebes der hinabfahrenden Autos. Nachdem wir die ersten 300 Höhenmeter erklommen haben, bietet sich uns ein fantastischer Blick ins enge Tal, in dem der See schimmert und an dessen Rande Queenstown liegt. So gefällt mir die Stadt am Besten!
Der Aufstieg flacht ab und ich nehme an, der schwerste Teil liegt hinter uns. Doch als ich mich dem Ziel schon nahe glaube, steigt der Weg erneut an, steiler als zuvor und diesmal ohne die Hilfe von Serpentinen. Auf den finalen 300 Höhenmetern müssen wir mehrfach pausieren, Atem holen und die vom Schnaufen trockene Kehle befeuchten. Dann endlich sehen wir den Gipfel und die Summit-plakette mit den erklommenen 1076 Metern. Wir müssen ohnehin halten, da Tills Kette wiedermal den Chainglider gefressen hat. Der Wind pfeift über unsere verschwitzten Kleider, schnell ziehen wir uns an um nicht auszukühlen und bereiten uns für die Abfahrt vor. Doch bevor wir den Berg wieder hinunter brausen, erhaschen wir noch einen letzten Blick von der Aussichtsplattform ins Tal hinunter. Hier stehe ich neben den Touristen, die im Auto den Bergkamm heraufgekommen sind, und ernte verstörte Blicke. Diese in T-Shirt und Hotpants, ich in Pullover, Jacke, Kapuze, dicken Strümpfen, Handschuhen.
Dann pedalieren wir die Nordseite des Gebirges hinunter, auf der uns nun der kalte Nordwind wieder entgegen schlägt. 800 Höhenmeter geht es hinab, bevor wir einen Platz für die Nacht finden. Obwohl wir darauf bedacht sind, nicht zu nahe an die nächste Stadt, Wanaka, heran zu fahren, machen uns die endlosen Einzäunungen die Suche schwer. Am Ende schlagen wir unser Zelt unter ein paar Bäumen zwischen Asphalt und Zaun auf. Beim Aufbau des Zeltes machen sich die Anstrengungen des Tages in Form von gegenseitigen Beschuldigungen für mangelnde Heringsstabilität Luft. Doch alle Schuldzuweisungen sind vergessen als Till 700 ml ‚Belohnung‘ aus seiner Tasche hervor zaubert. „Hast du etwa eine Flache Wein über den Pass gewuchtet??“ Till grinst. „Die Weine mit ordentlich Höhenmetern anhaftend sind doch die Besten, nicht?“ Davon lasse ich mich gerne überzeugen. Nicht aber von seinem späteren Ansatz, als er meint: „Ich habe Mentos, ich brauche heute keine Zähne putzen!“.
Der folgende Morgen ist grau in grau, und so auch unsere Fahrt entlang der Seen Hawea und Wanaka. Um ein bisschen Farbe in den Tag zu bringen, haben wir uns fürs Frühstück an die hiesige Delikatesse eines pinken 'Boston Buns' gewagt. Das Hefebrötchen mit einem Topping aus Butter und Zucker (nicht zu verwechseln mit Muttis Buttercreme, die ist lecker!) ist sogar Till, den es derzeit nach süß, süßer und zuckersüß verzehrt, zu viel. Oh du Brötchenkreation der anderen Seite der Welt, du schaffst es, dass bei deinem Genuss in uns so etwas wie Heimweh aufkommt.
Der Himmel wird immer dunkler und am Mittag setzt, wie angekündigt, der Regen ein. Stark und immer stärker, auch wie angekündigt. Uns ist es unmöglich, die Fahrt fortzusetzen und so biegen wir nach einiger Wartezeit unter Bäumen zu einer Bootsanlegestelle am See hinab. Im Lake district ist das Wildcampen überall untersagt und mit hohen Strafen belegt. Neben der Bootsrampe bietet zwar ein Fleckchen Wiese einen Platz für unser Zelt, doch verstecken lässt sich dabei nicht. Der anhaltende Regen überredet uns dazu, hier dennoch unser Lager aufzuschlagen. Till meint dabei: „Ich hatte mir schon vorgestellt, an einem der Seen zu campen, doch in meiner Vorstellung stand die Sonne am Himmel und wir haben darin gebadet. Hm, ich probier’s trotzdem.“ Er steigt also hinab zum See, der vermutlich von Gletschern gespeist wird und eine Temperatur nahe Null hat. Tapfer stellt er die Füße in den See und hält sich wacker beim Waschen der rechten Achsel. Dann beschließt er, dass das genüge und sprintet zum Zelt zurück. ?
Wir und unsere Kleider könnten eine richtige Wäsche mittlerweile gut vertragen. Doch im gesamten Lake district konnten wir weder über Warmshowers noch Couchsurfing einen Gastgeber finden. Doch endlich an diesem Morgen haben wir eine Antwort von einem Host an der Westküste – etwa 450 Kilometer nordwestlich. Doch nun heißt es erst einmal Füße still halten und Daumen drücken, dass sich niemand an unserer Anwesenheit hier stört. Der Wettervorhersage nach müssen wir den verbleibenden aktuellen und den gesamten folgenden Tag hier ausharren. Bereits am Nachmittag dringt Wasser in unser Zelt ein und es herrscht überraschend reger Verkehr trotz des Regens am Bootsplatz. Ob das mal gut geht?
Das Zelt hält dem Regen des Tages und der Nacht stand und schützt uns zudem vor den Hundertschaften von bissigen Sandfliegen, die im Vorzelt lauern. Auch scheinen die emsigen Bootsleute ein friedfertiges Völkchen zu sein. So auch das Küstenwachen-äquivalent, das gerade ein Boot zu Wasser lässt, als wir am folgenden Morgen das Zelt einpacken. Ja, wir entschließen uns tatsächlich zum Aufbruch, als der Himmel am Morgen nur noch hellgrau und der Regen zu dünnem Niesel abgeklungen ist. Ich wäre glücklich, wenn wir den 20 Kilometer entfernten Campingplatz erreichen würden. Wir durchqueren das grüne Hochtal, einige der umliegenden schneebedeckten Bergkuppen schauen zwischen den Wolken hervor. Sie leuchten regelrecht in der Sonne, die hinter den Wolken verborgen bleibt. Nur ein paar einzelne Strahlen fallen zusammen mit den Wassertropfen auf die Wiese – es ist ein magischer Moment. Das verleitet Till zu dem Entschluss: „Komm, lass uns heute noch den Hasst Pass überqueren.“
Der Hasst Pass: die Grenze zur Wilderness und der Westcoast. Wie das meine Knie wohl finden, die noch die Crown Range spüren lassen, und ob das nicht zu viel vom Wetter verlangt ist? Der Regen lässt nach und die davon hervorgerufene Euphorie lässt die Beine wie automatisch treten. Hinauf geht es im Regenwald und an unzähligen Wasserfällen des Mount Aspiring Nationalparkes vorbei. Beim Bestaunen des vielfältigen Waldes, der uns umgibt, und der Freude darüber, dass wir schon mehr als 20 Kilometer trocken geschafft haben, läuft der Aufstieg fast unbemerkt. Und schon sind wir drüber, Otago ade, der Pass liegt hinter uns und der Regen scheint fern. Der Himmel reißt auf und die warme Sonne signalisiert uns: schaut euch den Thunder Creek Wasserfall an, frühstückt und packt euer Zelt aus! Wider aller Erwartungen des Morgens bekommen wir auch an diesem Regentag unser Zelt getrocknet.
Durch den Regenwald geht es entlang des Hasst rivers bis auf Meeresniveau hinab, bis wir an diesem Tag tatsächlich die Küste zur Tasmansee erreichen. Von der Wildnis dominiert sieht man von der See nicht viel. Auch wenn der Ausblick von einem Punkt aus nicht wirklich spektakulär ist, so genießen wir doch den Moment und das Gefühl, die Westküste erreicht zu haben! Keine No-camping-Schilder mehr. Wir schlagen das Zelt in der dünnbesiedelten Region mitten in der Wildnis auf und stellen binnen Sekunden fest: This is Sandfly land! Und sie haben gemeinschaftlich Till zur Beute auserkoren. Das bedeutet wieder: kochen im Zelt.
Das Vorzelt ist gefüllt mit Sandfliegen. Als wir das nasse Zelt vor dem Einpacken bei Tagesanbruch ausschütteln, stieben hunderte Fliegen und Mücken davon, ebenso viele fallen erdrückt zu Boden, und noch einmal mehr kommen zum Vorschein, als wir das Zelt während der einzigen trockenen 30 Minuten des Tages herausholen. Was für eine gute Fliegenfalle der Raum zwischen Innen- und Außenzelt doch ist. Die vielen Gerüchte um dauerhaft schlechtes Wetter an der Westküste scheinen sich zu bestätigen. Immer wieder regnet es, immer wieder müssen wir uns unterstellen. Nun, irgendwie hatten wir das erwartet. Doch was wir nicht erwartet haben, sind die vielen Touristen, mit denen die Wilderness übersät ist. Drei von vier Autos sind Mietwagen.
So nähern wir uns ein wenig ernüchtert dem Fox Gletscher. Unsere Erwartungen an den Gletscher heranzufahren, werden von einer Blockade (wohl der Regenfälle wegen) zerstört. Nach 80 nassen Kilometern wollen wir die Fahrt für diesen Tag aufgeben, doch trotz intensiver Suche und vieler Abstriche an die Campsite mit jedem fortschreitenden Kilometer, können wir keinen Platz finden. Entweder blockieren Zäune und Tore den Zugang, oder der Boden ist steinhart und somit für Heringe absolut unzugänglich. Bei weiterer Suche in grasigen Teilen stoßen wir nur auf Morast. Der Boden ist vom Regen so sehr aufgeweicht, dass Till teils bis über die Knöchel im Schlamm versinkt. Immer wieder Regengüsse. Dann kommt Fox town und im Stadtgebiet ist natürlich Campen verboten. Erschöpft und durchnässt durchqueren wir die Stadt, an deren anderem Ende die Straße steil ansteigt. Diese Auffahrt wollte ich heute keinesfalls mehr wagen, doch es bietet sich keinerlei Alternative. Im 'Granny gear' steigen wir den Berg hinauf, warten auf eine Abzweigung, doch rechts nur Felsen und links Abhang. Dann endlich eine Ausbuchtung. Erwartungsvoll fahren wir hinein, machen den Heringstest: der felsige Grund ist hart wie Granit, nicht einen Millimeter können wir die Anker versenken. Alles Kopfhängenlassen hilft nichts, wir müssen weiter aufwärts.
Bis wir den Berg überwunden haben, ändert sich die Mangellage nicht. Erst auf der Abfahrt entdecken wir ein Wiesenstück, dass nun als Nachtplatz herhalten muss, komme was wolle. Der Grund ist mäßig gut, nur am gegenüberliegenden Ende der Wiese mit nassem, hohem Gras und Pfützen lässt sich eine Stelle ausmachen, an der wir 'ankern' können. Auch wenn Hosen und Strümpfe völlig durchnässt sind und aus den Luftlöchern auf Tills Schuhen mit jedem Tritt das Wasser quillt, bin ich doch einfach nur glücklich als das Zelt steht und wir hinein können. Die nassen Sachen hängen wir im Zelt auf eine Strippe und eine Suppe wärmt uns. Was für ein Tag.
Die Wärme der Suppe lässt bald nach, in dicke. Hosen und Pullovern kriechen wir tief in unsere Schlafsäcke, die über die Zeit mächtig Federn gelassen haben. Gegen Morgen erscheint es mir sehr kalt, als Till mir seine eiskalte Nase an die Wange drückt. Unsere Kleider sind nicht im geringsten trockener als am Tag zuvor und das Zelt ist mit einer frostigen weißen Schicht überzogen. Till hält es für eine gute Idee mit nackten Füßen zum Zeltabbau in die nasse Wiese zu treten. Das tut mir beim bloßen Hinsehen weh. Ich kann ihn dann doch überreden, die nassen Schuhe anzuziehen, auch wenn ich mir nicht sicher, ob das wirklich besser ist.
Nicht nur das Zelt ist mit Eis überzogen, auch unsere Felgen. Die müssen wir in vielen Intervallen auf der anstehenden Abfahrt erst einmal freibremsen. Zwei weitere Berge gilt es zu überwinden, um nach Franz Josef zu gelangen. Die Auffahrten halten uns warm und die Körperwärme hilft beim Trocknen der Hosen. Die letzte Abfahrt führt uns in die kleine Stadt, von Hubschrauberdrohnen durchdrungen. Überall bieten Touristenbüros Gletscherflüge und -besteigungen an. So angefroren ist mir an diesem kalten Morgen nach viel zumute, aber nicht nach Gletscherbesichtigung. Der Himmel ist blau, mit kleinen weißen Wolken gespickt und die Sonne zu sehen – doch sie brauch lange um hoch genug über den Bergen zu stehen, so dass ihre Strahlen auf uns herab fallen. In Franz Josef wechselt Till auf trockene Socken und Sandalen. Damit sieht die Welt doch schon besser aus.
Eine neue Regenwelle am Mittag verbringen wir geschützt in einem Toilettenhäuschen damit, unsere nassen Schuhe unter dem Händetrockner zu föhnen. Das verbreitet einen tollen Duft in dem kleinen Häuschen. Doch Till meint entschlossen: „Weitermachen! Das sind Toiletten, die riechen nie besonders gut.“ Bis zum Abend sind wir tatsächlich wieder vollkommen hergestellt, Schuhe und Kleider getrocknet und auch die Wiese, die wir uns mit Bienen und Ziegen teilen, nur noch feucht-weich anstelle von Morast. So können wir uns mit dem Wetter insgesamt doch glücklich schätzen.
Am nächsten Tag geleitet uns der Westcoast Wilderness Trail nach Hokitika. Über alte Eisenbahnbrücken und abgelegene Wege gelangen wir in die Stadt, gelangen wir zu Kevin. Der Doktor der Naturwissenschaften rettet uns vor einer weiteren kalten Nacht mit Regen, versorgt uns mit vielen Geschichten und gibt uns die Möglichkeit, endlich einmal wieder ein Abendessen im Ofen zuzubereiten: Ofengemüse mit Joghurt-dip.
Die letzte Etappe an der Westküste führt uns an felsiger Küste entlang. Das Meer leuchtet unsagbar blau im Sonnenlicht. Schichtartige Gebilde, die unter Wasser entstanden sind, sehen aus wie Pancakes und verdanken diesem Vergleich ihren Namen. Entlang der Küste wachsen die typischen Flax Büsche. Wir beobachten wie die Staren und Tui-Vögel den Nektar der Blüten trinken. Till beschließt, es auch einmal zu probieren und entdeckt, dass jede Blüte mit vielen Millimetern Nektar gefüllt. „Schmeckt wie Zuckerwasser“ meint er schmunzelnd. Wir haben Rückenwind und erfreuen uns an unserem Vorankommen, wieder einmal auf der 'Flucht' vor einer Regenfront. Nur ein wenig Mitleid empfinden wir diesbezüglich für Lukas, einen Radler, der in die entgegengesetzte Richtung unterwegs ist. Es ist die erste Reise für den jungen Deutschen zu Rad und er meint etwas sehnsüchtig: „ So etwas wie ihr wollte ich auch schon immer machen, aber…“ Meine Augen weiten sich vor Neugier und ich bin sehr gespannt, wie der Satz weiter geht. Eine lange Pause folgt, in der man seine Gedanken regelrecht rattern hören kann. Dann meint er: „Eigentlich gibt es kein 'aber'.“ Genau, Lukas, einfach losfahren.
Starker Wind weht uns entgegen als wir die Küste verlassen und unser Weg nach Osten abbiegt. Entlang des Buller Rivers steigen wir in die Berge auf, die uns im Laufe des Tages vor dem Wind schützen werden. Es ist anstrengend, fast jeden Meter, den man hinauf klettert, geht es wenig später wieder hinab. Am Ende des Tages fühlt es sich an, als wären wir auf 2000 Meter aufgestiegen. Doch unser GPS behauptet, wir befänden uns gerade mal 200 Meter über dem Meeresspiegel. Zur Tagesmitte begegnen wir einem holländischen Reiseradler in entgegengesetzter Richtung. Er berichtet uns, dass er am Morgen vergessen hat, seinen Schlüssel im Gasthaus abzugeben, in dem er nächtigte. Kein Problem, das liegt auf unserem Weg. Wir nehmen den Schlüssel an uns und bringen ihm seinem Besitzer zurück. Nachdem Till am Morgen schon einmal in einer Kletteraktion von einem Wasserfall Trinkwasser holen durfte, bringt uns die Rückführung nun die Möglichkeit, in dem Gasthaus unsere Wasserflaschen zu füllen. Der Tag endet unter einem Trio von Kiefern, welche uns vor nächtlichem Regen bewahren. Dies beschert uns das unglaubliche Glück eines trockenen Zeltes am Morgen – und das an einem Tag, der dauerhaft Regen bringen soll.
Der Wetterbericht soll zunächst recht behalten und auch die Ponchos, die ich zur Unterstützung der mittlerweile durchlässigen Regenjacken besorgt habe, bringen nicht den gewünschten vorbeugenden 'Umbrella Effekt' (es regnet nicht solange man den Regenschirm bei sich hat). Auf die Ponchos tropft es und auch unter den Ponchos tropft es bei der Auffahrt auf dem Hope saddle. Doch nach dem Überwinden der letzten Bergetappe klart der Himmel aufund wir rollen von den grünen bewaldeten Hügeln dem Meer entgegen.
Wir erreichen Richmond genau zur richtigen Zeit: eine Santa Parade startet gerade. Wir vermissen die deutschen Weihnachtsmärkte und sind gespannt wie ein Flitzebogen, welche vorweihnachtlichen Attraktionen gleich präsentiert werden. So gesellen wir uns zu den wartenden Gästen, vornehmlich Familien mit Kindern, aber das macht nichts, entlang der Queen street. Ein Umzug beginnt, bei dem geschmückte Wägen an uns vorbei ziehen: Menschen in Affenkostümen oder als StarWars-Helden verkleidet, der Tauch-club, Teilnehmer des Redneck-clubs mit Waffen und Bierdosen. Eine Verbindung zu Weihnachten suchen wir vergeblich. Nun, es wird als Erfahrung verbucht und hilft uns sicher dabei, die heimischen Weihnachtsmärkte in Zukunft noch stärker zu schätzen zu wissen.
Nach der Parade gelangen wir an die Tür von Sue und Hund Toki. Mein Geburtstag steht an, für den ich mir nur eines gewünscht hatte: eine warme Dusche. Also hat Till Kontakt zu Sue aufgenommen, bei der wir diesen Tag verbringen können. Während es draußen ununterbrochen regnet, können wir den Tag geschützt im warmen Heim verbringen, Plätzchen backen und Sue's Kochkünste genießen. Ist das nicht ein tolles Geschenk?
Mit zwei weiteren regnerischen Tagen verabschiedet uns die Südinsel. Wir haben die Fähre bereits gebucht (billiger als Last Minute) und so müssen wir auch im Dauerregen die Fahrt fortsetzen, um pünktlich den Hafen zu erreichen. Die Ponchos sind vom ‚southerly wind' zerrissen und die Tropfen rinnen uns vom Helm hinab zu den Füßen. In nassen Schuhen und nasser Kleidung stehen wir zur rechten Zeit am Quay und schieben die Esel in das große 'Maul' des Schiffes, welches uns zum letzten Abenteuer Nordinsel bringen soll.